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Studie zeigt unerwartete Konflikte im DDR-Herrschaftsapparat Künstler im Visier der Staatssicherheit

Sänger mit historischem Liedgut und ein verdächtiges Duo: Von 1982 an
nahm die Stasi verstärkt Geraer Künstler ins Visier. Die Unbequemen
sollten bespitzelt und "zersetzt" werden. Doch das lief nicht immer
glatt.

24.01.2014, 01:21

Gera (dpa) l Gera als Bezirkshauptstadt galt zu DDR-Zeiten nicht als Hort der Opposition. Die war vielmehr im benachbarten Jena aktiv. Doch im September 1982 startete die Stasi einen sogenannten Zentralen Operativen Vorgang (ZOV) gegen sechs Geraer Künstler und einen Kunstwissenschaftler wegen "antisozialistischer Aktivitäten" und "Missbrauchs des Freiraumes Kultur/Kunst". Das hieß, dass sie mit allen Mitteln überwacht, bespitzelt und "zersetzt" werden sollten. Eine Studie der Universität Jena und der Stasi-Unterlagenbehörde dazu zeigt nun eine unerwartete Kluft im DDR-Herrschaftsapparat und wie eingeschränkt der Einfluss der Stasi auch in der DDR sein konnte.

Die Aktion richtete sich unter anderem gegen den Liedermacher Stephan Krawczyk. Damals war er im Trio "Liedehrlich" aktiv, das Lieder aus dem 18. und 19. Jahrhundert neu interpretierte. "Wir haben versucht, durch die Blume der Historizität die Wirklichkeit zu spiegeln", sagt Krawczyk heute. Damit habe man eine Alternative zur offiziellen DDR-Kultur bieten wollen, sei aber nicht wirklich oppositionell gewesen. Krawczyk war damals ohnehin noch SED-Mitglied.

Bei den Verantwortlichen der Stasi saß wohl aber die Angst in den Knochen, in Gera könnte sich eine ähnliche Situation entwickeln wie Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre im benachbarten Jena. Die dortige Opposition gehörte damals zu den aktivsten in der DDR und war immer wieder mit mutigen Aktionen an die Öffentlichkeit getreten. Doch gegen die Geraer Künstler einen solchen Vorgang einzuleiten sei "an den Haaren herbeigezogen" gewesen, konstatiert der Historiker Roger Engelmann. "Sie waren keine geschlossene Organisation oder Gruppe."

Engelmann arbeitet in der Stasi-Unterlagenbehörde und ist Mitherausgeber des Buches "Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression", das heute in Gera vorgestellt wird und den damaligen Kulturkonflikt beleuchtet. Der Historiker vermutet, dass bei der Aktion auch "innerbürokratisches Imponiergehabe" eine Rolle gespielt habe. "Die Geraer Stasi-Leute wollten wohl auch einmal so einen großen Vorgang haben."

Das Buch zeigt einerseits, wie schnell ein DDR-Bürger ins Visier der Stasi geraten konnte - mit allen Konsequenzen für sein berufliches Weiterkommen. Etwa im Fall des Kunstwissenschaftlers Hans-Peter Jakobson. Er wurde nicht nur von einer ganzen Reihe inoffizieller Mitarbeiter überwacht, bei ihm intrigierte die Stasi massiv unter anderem gegen eine Vollmitgliedschaft im Künstlerverband der DDR, so dass er nicht weiter freischaffend arbeiten konnte.

Andererseits zeigt es, wie klein der Einfluss einer Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit innerhalb des DDR-Machtapparats sein konnte. Zudem wird deutlich, dass politische Entscheidungen auch gegen die Position der Stasi getroffen wurden. Etwa im Fall der Musiker Matthias Görnhardt und Bernd Rönnefarth, gegen die sich ebenfalls der ZOV "Bühne" richtete. Als Duo Görnhardt Rönnefarth und später als "Circus Lila" konnten sie trotz Interventionen der Stasi im ganzen Land auftreten. Sie wurden zu Festivals in Frankfurt (Oder) und Berlin eingeladen, und Görnhardt stieg sogar in die Leitung des Komitees für Unterhaltungskunst auf.

"Dass es eine so starke Kluft zwischen den Kulturfunktionären und dem Handeln der Stasi gab, war für uns überraschend", erklärt Engelmann. "Es sind keine Fälle bekannt, wo es solche extremen Diskrepanzen innerhalb des Herrschaftsapparates der DDR gab."

Zu der Kluft beigetragen hat wohl, dass die Stasi-Leute beruflich und privat weitgehend abgeschirmt von anderen Teilen der Gesellschaft waren. "Nach unseren Befunden über die Hauptamtlichen der Stasi in diesem kleinen, aber beispielhaften Fall aus Gera haben sie eine solche Parallelgesellschaft gebildet", schreibt der Jenaer Historiker Lutz Niethammer. Die in den 80er Jahren völlig überdimensionierte Stasi habe als Geheimdienst letztlich weniger Feinde entdeckt als selbst produziert - "und dies immer mehr, je mehr die DDR ihrem Ende zuging". Niethammer kommt daher zu dem Schluss, dass sie einer der wichtigsten Faktoren zur Delegitimierung des DDR-Regimes war.