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Interview mit dem Leiter des Telemann-Zentrums Ideentausch per Notenpost

Für den Leiter des Telemann-Zentrums, Dr. Carsten Lange, naht der
Höhepunkt im dienstlichen Jahreskalender. Über die Magdeburger
Telemann-Festtage, die am 14. März unter dem Motto "Generationen"
beginnen, hat Irene Constantin mit ihm gesprochen.

07.03.2014, 01:22

Volksstimme: Das Festival-Logo bietet in diesem Jahr zwei Namen, Georg Philipp Telemann natürlich und Carl Philipp Emanuel Bach. Das Schlagwort "Generationen" verbindet sie. Was wollen uns die Veranstalter damit sagen?
Dr. Carsten Lange: Wir möchten die beiden Komponistengenerationen, Telemann ist 1681, Bach 1714 geboren, in einen Austausch bringen, die kompositorischen Stile betrachten, das Originelle an beiden zeigen und auch den Umgang miteinander beleuchten.

Telemann war vor genau 300 Jahren Bachs Taufpate und hat sich in verschiedener Weise um ihn gekümmert. Außerdem hat Telemann nachweislich ein großes Zutrauen in junge Kollegen gehabt, obwohl gerade Bach in einem ganz anderen Stil komponierte. Mit seinen außergewöhnlichen Kompositionen schlägt C. P. E. Bach eine Brücke vom Barock zur Klassik.

Volksstimme: C. P. E. Bach ist sogar Telemanns Amtsnachfolger als Musikdirektor der Hauptkirchen in Hamburg geworden.
Lange: Telemann hat Musik von Bach in Hamburg aufgeführt, um ihn bekannt zu machen. Bach wiederum hat an seinem Wirkungsort Berlin Telemann gespielt. Als Bach dann in Hamburg anfing, hatte er selbst noch nicht viel Kirchenmusik komponiert und war auf andere Werke angewiesen, wollte er nicht selbst komponieren. Er nutzte Telemanns Kompositionen und lieh sie sich bei dessen Enkel. Für die jährlich fälligen Passionsmusiken übernahm Bach auch gern die Rezitative von Telemann und fügte Arien aus eigener Feder oder der anderer Zeitgenossen hinzu.

Volksstimme: Ist so ein Werk bei den Festtagen zu hören?
Lange: In der Lukas-Passion 1771 finden wir Telemann-Rezitative und Arien von Bach-Zeitgenossen sowie ältere Kompositionen. Diese sehr effiziente Arbeitsmethode zeigt Bach als Vermittler zwischen der alten Generation und der modernen Musik seiner Zeit.

Volksstimme: Was steuert denn das Telemann-Zentrum in seiner Eigenschaft als Forschungseinrichtung bei?
Lange: Sieben Erstaufführungen zum Teil frisch edierter Werke. Eines davon stammt von Bach und ging wohl als "Bewerbungsstück" nach Hamburg. Ein anderes ist ein Johannes-Oratorium von Telemann, das früher Händel zugeschrieben wurde.

Volksstimme: Der Noten-Briefwechsel zwischen Berlin und Hamburg war rege. War immer nur Kirchenmusik in der Post?
Lange: Es gingen auch Lieder, Concerti, Opernarien hin und her. In einem unserer Konzerte soll ein solcher Briefwechsel "erklingen". Eine Opernouvertüre und andere Instrumentalmusiken stehen auf dem Programm, das zeigen soll, wie gut Telemann über die nächste Generation Bescheid wusste.

Volksstimme: Die Oper "Otto" zeigt eine andere Kooperation, die zwischen Telemann und Händel. Wie muss man sich deren Teamwork vorstellen?
Lange: Beide kannten einander gut, schon als junge Männer. Telemann in Hamburg wusste immer genau, was Händel in London auf die Bühne brachte, u. a. aus der Zeitung. Telemann brauchte für die Hamburger Oper immer neue gute Werke. So waren auch die gedruckt vorliegenden Arien aus "Ottone" willkommen. Für die Hamburger Oper vermied er aber italienische Rezitative. Damit das Publikum die Handlung verstand, wurden sie ins Deutsche übersetzt und von Telemann neu komponiert. Wir erleben in unserer Aufführung Telemanns Rezitative und überwiegend Händels Arien. Wenn Telemann als exzellenter Musikdramatiker allerdings fand, dass eine Arie zum neuen Umfeld nicht passte, komponierte er sie neu oder ersetzte sie mit Musik anderer Komponisten. Die Oper erklang also in Hamburg so, wie Telemann es wollte. Im 18. Jahrhundert war ein solches Vorgehen ganz normal. Die Komponisten hatten offensichtlich Spaß am Umgang mit fremden musikalischen Ideen.

Volksstimme: Das Festtags-Logo "Generationen" sieht man in der ganzen Stadt. Wo müsste man stehen, um etwas so zu sehen, wie der 12-jährige Telemann?
Lange: Man sollte sich westlich vor den Dom stellen und nach Osten schauen. Das Hauptportal sieht genau so aus wie Telemann es sah; auch der Anbau rechts existierte schon.