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Dreigroschenoper am Nordharzer Städtebundtheater "Und der Haifisch, der hat Zähne"

Von Hans Walter 17.03.2014, 01:19

Quedlinburg l Sieben Minuten Schlussapplaus mit Bravorufen für das erfolgreichste Musikwerk des 20. Jahrhunderts: Am Nordharzer Städtebundtheater hatte die "Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht mit der Musik von Kurt Weill nach John Gays "Bettleroper" am Freitag ihre Premiere.

Die halbhohe Brecht-Gardine aus dünnem Stoff gibt einen Teil des Bühnenbildes von Sven Hansen frei. Eine Gitter-Konstruktion, die im unteren Teil variabel mit wenig Aufwand zu Peachums Bettlerimperium, zum Hochzeits-Pferdestall, zum Hurenhaus oder zum Knast von Old Bailey wird. In diesem Ambiente mit acht Bildern und ihrer Strukturierung mit Übertitelung lässt Regisseur Ulrich Fischer, Intendant des Landestheater Sachsen-Anhalt in Eisleben, die Geschichte des Verbrecherkönigs Macheath und dessen Rettung vor dem Galgen spielen (Dramaturgie: Johanna Jäger). Mit Erhebung in den Adelsstand und lebenslanger Rente. Ein Schelm, wer an aktuelle Beispiele aus Politik und Wirtschaft denkt!

Weill schrieb für Schauspieler - sehr passend für das Harztheater

Vor 86 Jahren rettete der sensationelle Erfolg den Berliner Theaterunternehmer Aufricht vor dem Ruin. Zum ersten Mal agierten nicht Opernsänger, sondern Schauspieler mit relativ geringem Stimmumfang. Am wichtigsten war ihr Ausdruck. Die "Dreigroschenoper" war alles: Kabarett, Revue, Volkstheater, Oper und ihre Persiflage. Als Helden agierten Straßenbanditen, Bettler, Huren und diejenigen, die am menschlichen Elend ganz groß verdienen. Nicht umsonst wurde der Macheath-Song "Und der Haifisch, der hat Zähne" zum Hit. Weltweit. Die absolute Einheit von Text und Musik in Zeiten der Krise war das genialische Erfolgskonzept von Brecht/Weill.

Unter Leitung von Musikdirektor Johannes Rieger spielt ein kleines Jazzorchester mit hörbarer Freude auf einer Vielzahl an Instrumenten: Saxofonen, Trompeten, Posaune, Harmonium, Pauke, Schlagwerk, Kontrabass, Banjo, mit dem musikalischen Leiter am Klavier. Es klingt wie alte Tondokumente, seinerzeit unter dem Operettenkomponisten Theo Mackeben mit Lotte Lenya, Kurt Gerron, Erich Ponto und weiteren Schauspielstars auf Schelllack-Platten eingespielt.

Das Städtebundtheater besetzte gemäß seinen Möglichkeiten die Rollen mit Schauspielern und Opernsängern. Ganz groß Ingo Wasikowski als schmierig-erhabener Macheath, mit einer Maske, die an einen Haifisch erinnerte. Seine Lippen troffen von Blut. Die Frauen um ihn waren mit ausdrucksstarken Schauspielerinnen besetzt: Als seine Gattin Polly Julia Siebenschuh, als seine Geliebte Lucy die tänzerisch trainierte Teresa Zschernig, als Spelunken-Jenny Barbara Fressner. Titel wie die "Seeräuberjenny", das Liebeslied, die Zuhälterballade, das Eifersuchtsduett oder die Ballade vom angenehmen Leben waren hervorragend!

Die Zuschauer von 2014 sind wissender als die von 1928

Als Peachum war der Schauspieler Arnold Hofheinz, als Mrs. Peachum aus dem Opern-ensemble Gerlind Schröder zu erleben. Sie sangen den Morgenchoral des Peachum, die "Unsicherheit menschlicher Verhältnisse" oder "Wovon lebt der Mensch" mit großartiger Coolness. Norbert Zilz als Polizeichef Brown hatte in seinem sentimentalen, aus der Kriegszeit herrührenden Verhältnis zu Macheath große Momente, kulminierend im "Kanonensong".

Till Petri, Tobias Amadeus Schöner, Gerold Ströher und Joachim Kielpinski waren die räuberische Großstadtgang. Eine Mischung aus draufgängerischer Olsenbande und armen Schweinen. Gijs Nijkamp gab den herrlich verfressenen Pfarrer Kimball; Wolf-Matthias Sögel den unglücklichen Filch, einen von Peachums Bettlern.

Zum Schluss der in seiner Formenstrenge an Bach erinnernde Dankchoral. Man müsse das Unrecht nicht allzu sehr verfolgen, denn in Bälde erfriere es schon von selber, denn es ist kalt. Das bleibt als Hoffnung.

Fischer und Jäger verzichten auf Aktualisierung. Die Zuschauer von 2014 sind wissender als jene von 1928. Sie haben Kriege, Diktaturen, Korruption und Globalisierung der Wirtschaft selber erlebt und wissen zu werten, mit einer gehörigen Prise Sarkasmus ob der ewig währenden Verbrechergeschichte.