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Film "Unsere Mütter, unsere Väter" 270 Minuten deutsches Selbstmitleid

Der ZDF-Weltkriegs-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" ist ein toll
inszenierter und preisgekrönter Publikumshit - versagt nach Ansicht von
Forschern der Uni Magdeburg jedoch völlig bei der realistischen
Darstellung deutscher Geschichte.

Von Andreas Stein 01.07.2014, 03:23

Magdeburg l Historische Themen erleben im deutschen Fernsehen einen Boom wie nie zuvor - von den allgegenwärtigen Dokumentationen über Spielfilme bis zu Talkrunden mit Zeitzeugen - Millionen Zuschauer schalten ein, wenn Guido Knopp und Co. unsere Vergangenheit ein Stück weit lebendig machen.

Mit großen Ansprüchen ist im vergangenen Jahr auch der ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" an den Start gegangen. Der Film erzählt die fiktive, aber von wahren Schicksalen inspirierte Geschichte der fünf Freunde Wilhelm, Friedhelm, Viktor sowie Greta und Charlotte, die 1941 in die Wirren um den Krieg an der Ostfront geraten. Nur drei von ihnen treffen sich nach dem Krieg wieder in Berlin. Flankierend von Doku und Talk, wollte Produzent Nico Hofmann "Unsere Mütter, unsere Väter" die Zuschauer anregen, in der Familie generationsübergreifend mit eben jenen Müttern und Vätern, Groß- und Urgroßeltern über den Zweiten Weltkrieg ins Gespräch zu kommen, zu fragen: Wie war das eigentlich damals - und was hast du gemacht?

Ein tolles Mittel, um Werbung für das TV-Event zu machen - aber an der Wirklichkeit vorbei, wie Geschichtswissenschaftler der Uni Magdeburg im Forschungsverbund "Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft" herausgefunden haben. In Zusammenarbeit mit 3sat zeigten sie den Film im August 2013 einem Testpublikum, um herauszufinden, wie er in den Köpfen und Herzen der Menschen wirkt. "Wir wollten wissen, welche Erinnerungsangebote wirklich im Film stecken", berichten die Dozenten Yvonne Kalinna und Andreas Matt.

Das Ergebnis war niederschmetternd: "Unsere Mütter, unsere Väter" ist zwar anders als andere ZDF-Filme in bester Hollywood-Ästhetik inszeniert, muss den Vergleich mit Filmen wie "Der Soldat James Ryan" nicht scheuen und unterhält bestens - mehr aber nicht. "Die Figuren sind zu blass, die Zuschauer sahen sie in unseren Testvorführungen nicht als Mütter und Väter an", berichtet Studentin Friederike Holst.

Stattdessen identifizierten sie sich mit den Protagonisten der eigenen Altersgruppe in einer lebensbedrohlichen Kriegssituation, was soweit führte, dass junge Männer die Taten der Filmcharaktere nachträglich verteidigten. Dazu kommen für die Forscher die fragwürdige historische Genauigkeit und die Tatsache, dass der Film am Fließband die unmoralischen Taten der Protagonisten verteidige. "Schlimm ist nicht, dass der Film Historisches falsch darstellt, Kriegsverbrechen der Wehrmacht beschönigt oder kritische Themen wie den Holocaust umschifft, sondern dass er 50 Jahre Aufarbeitung der deutschen Geschichte verneint hat", bilanziert Andreas Matt.

"Unsere Mütter, unsere Väter" bediene die überlieferten Entlastungsstrategien der kleinen Bürger, die schon nach dem Krieg sagten, sie hätten von alledem nichts gewusst und seien verführt worden, so Yvonne Kalinna. Sie fasst den Film mit "270 Minuten deutsches Selbstmitleid" zusammen.

"Besorgniserregend" findet Silke Satjukow, Leiterin des Instituts für Geschichte an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, die Ergebnisse der Untersuchungen. "70 Jahre nach Kriegsende vermittelt der Film die gleiche Geschichte - die Deutschen waren jung, verführt und unschuldig", so Satjukow. Jahrzehntelange historische Forschung, die dieses Bild z.B. mit der Wehrmachtsausstellung wiederlegte, wurden einfach außer Acht gelassen. Das wäre bei einem Privatsender nichts Ungewöhnliches - aber das ZDF hat einen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag. Der Film wurde auch über die Rundfunkgebühren der Zuschauer finanziert.

Für Satjukow sind Spielfilme dennoch ein veritables Mittel zur Geschichtsvermittlung. Sie nennt als gelungenes Beispiel den Film "Schindlers Liste". Die Filmemacher müssten jedoch sensibilisiert werden, welche Wirkung bestimmte Szenen hätten und wie schwer es sei, mit beliebten Schauspielern unbeliebte Charaktere der Geschichte darzustellen.

Der nächste Historien-Blockbuster ist übrigens in Arbeit: Seit April dreht Regisseur Philipp Kadelbach die Neuverfilmung des DDR-Literaturklassikers "Nackt unter Wölfen". Er soll 2015 in der ARD laufen.