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Polizeiruf: Die Familie ist nur ein Mythos "Heil Hitler, Mama!"

"Abwärts" heißt der zweite Fall der "Polizeiruf"-Reihe aus Magdeburg,
der gestern um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen war. Leider ist das ein
treffender Titel. Denn mit zunehmender Spieldauer geht es auch mit der
Spannung in diesem Sozial-Schlamassel steil abwärts.

Von Oliver Schlicht 07.07.2014, 03:37

Magdeburg l Es klimpert im Knast der Schlüsselbund des Wächters: "Ihre Mutter ist da!" Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) besucht den rechtsradikalen Sohn. Zu sagen gibt es nichts. Beide schweigen im Besucherzimmer. "Heil Hitler, Mama!", sagt der Sohn noch zum Abschied. Und dann springt draußen vor der Knastmauer ihr Motorrad nicht an.

Auch das funktioniert nicht. Wie überhaupt alles in "Abwärts" irgendwie kaputt zu sein scheint. 90 Minuten lang flackern die Leuchtstoffröhren, weht der kalte Winterwind durch verlassene Lauben, Baustellen und Werkstätten. Sogar das fast neue Auto von Hauptkommissar Jochen Drexler (Sylvester Groth) springt immer wieder nicht an. Schwierig, weil er doch die 26-jährige Tochter aus ihrer kaputten Beziehung abholen soll. "Hau ab, du Vo...!" Dafür kriegt der Ex eins in die Fresse vom Hauptkommissar. Fast so wie in "Stirb langsam". Bruce Willis in der Börde.

Es bestand Hoffnung, dass der Magdeburger "Polizeiruf" mit dem zweiten Teil in die Krimi-Spur findet. Sind doch die Rollen der Hauptkommissare mit Groth und Michelsen hervorragend besetzt. Und die Figuren der beiden - sie, die etwas prollige Powerfrau, er, der kluge, eigenwillige Pedant - auch gut angelegt. Aber selbst die besten Hauptdarsteller und eine professionelle optische Umsetzung (Kamera Michael Schreitel) können diesen Fernsehfilm nicht retten.

Die Story verläuft sich in einer Ansammlung von gescheiterten Existenzen, zerstörten Familien, verlassenen Kindern und einem im Kosovo traumatisierten Soldaten. "Er hat einen achtjährigen albanischen Jungen überfahren. Den Strick der Ziege hielt das Kind noch in der Hand. Die Ziege hat überlebt." Regisseur und Drehbuchautor Nils Willbrandt hat vermutlich vor Rührung geweint, als er diesen Sozial-Schlamassel aufgeschrieben hat.

Dabei schien das nach der ersten halben Stunde ein durchaus unterhaltsamer Krimi werden zu können. Ein Toter in der Straßenbahn. Erschlagen. Der Laptop neben ihm ist Diebesgut. Jugendliche waren in der Bahn. Aber den Ermittlern wird schnell klar, so ein einfacher Überfall mit Todesfolge ist das hier nicht. Der Erschlagene ist der Dieb. Der Ausgeraubte, der 15-jährige Lukas Schenker (Lukas Schust), ist auf der Flucht. Ein Zeuge, Sozialarbeiter Peter Ruhler (Peter Jordan), flüchtet seltsamerweise mit ihm gemeinsam. Der Laptop erweist sich als Schlüssel für diese Verwirrung.

Das Flucht-Paar wird doppelt gejagt

Denn darauf ist hoch brisante Software installiert aus der Forschungsabteilung eines großen Wolfsburger Automobilkonzerns, mit der potenzielle Diebe Luxusschlitten öffnen und starten können. Dort bei der Forschung arbeitet der Vater des flüchtigen Lukas. Nun wird das Flucht-Paar gleich doppelt gejagt: Von der Polizei und zwei Schwerkriminellen, in deren Auftrag Sohn Lukas seinem Vater den Laptop vor dem Straßenbahn-Überfall geklaut hatte.

Das heißt: Es gibt einen Toten, der mit den eigentlichen kriminellen Verwicklungen nichts zu tun hat, sondern nur zur falschen Zeit am falschen Ort scharf auf den falschen Laptop war. Eigentlich guter Krimi-Stoff mit Platz für Spannung: Wer kriegt das Flucht-Pärchen zuerst? Mit Platz für tiefenpsychologische Betrachtung: Der alleinstehende Vater pendelt nach Wolfsburg und vernachlässigt seine Kinder. Mit Platz für Sozialkritik: Die jugendlichen Räuber in der Straßenbahn. Mit Platz für Humor: Hauptkommissar Drexler kommt mit seinem neuen Auto aus Wolfsburg nicht klar.

Doch was passiert? Nach den ersten, durchaus gut inszenierten 30 Minuten hört der Krimi auf, ein Krimi zu sein. Der Zuschauer weiß jetzt weitgehend Bescheid und wird an die Hand genommen, um über die tiefere Ursache solcher Verwerfungen aufgeklärt zu werden: Die Gesellschaft ist schuld, sie funktioniert nur scheinbar, sie deformiert die Menschen Tag für Tag. Die Familie ist ein Mythos. Die Realität ist ein Trümmerfeld von getrennten Paaren, verlassenen Söhnen und Töchtern, Babys ohne Zukunft, Soldaten, die in der Fremde Kinder totfahren.

Der fürsorgliche Sozialarbeiter schießt sich in den Kopf, die Mutter übergibt ihr weitgehend unschuldiges Kind der Polizei und zieht die Gardine zu. So endet dieser Film.

Autor Nils Willbrandt sucht und findet in fast jeder Einstellung Worte und Bilder, um seine krude Weltsicht zu propagieren. Ideologie ersetzt Fernseh-Unterhaltung. Zuschauer mit rechtsradikaler Gesinnung werden von diesem "Polizeiruf" begeistert sein. Ihr Märtyrer sitzt im Knast, während draußen die freie, demokratische Gesellschaft, die dem Individuum die Verantwortung für seine Lebensgestaltung überwiegend überlässt, an dieser Freiheit scheitert.

So ist das. Die Freundin des Toten aus der Straßenbahn öffnet mit einem Baby auf dem Arm Kommissarin Brasch die Wohnungstür. Das junge, verwahrloste Mädchen guckt kurz, reicht ihr das Kind und geht an die Küchenspüle kotzen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.