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Vergessenes Offenbach-Operettchen Häuptling Abendwind mit sächsischem Kolorit

Von Hans Walter 16.09.2014, 01:11

Halberstadt l Da treffen sich auf höchster Ebene auf einem Südsee-Eiland zwei Spitzenpolitiker - Häuptling Abendwind der Sanfte (Ingo Wasikowski) und sein Amtskollege Biberhahn der Heftige (Norbert Zilz). Sie parlieren. Smalltalk. Der jeweils andere hat eine Ahnung, dass sein Gegenüber die geliebte Gattin seines Vis-à-vis gebraten und mit großem Appetit verspeist hat. Beide sind Kannibalen.

Und nun kommt zum Staatsbankett ein besonders leckerer Braten auf die geflochtenen Teller. Ein Fremdling, seines Zeichens ein Friseur. Häuptling Abendwind findet in seinem Mahl einen Kamm; Biberhahn verschluckt sich fast an der silbernen Spieluhr samt Kette. Sie spielt in seinem Bauch sogar noch Musik - die Kriegshymne der Papatutu, Biberhahns Stamm.

Ein absurdes Geschehen, hochgedreht bis zur letzten Pointe durch den deutschen Text von Johann Nepomuk Nestroy. Schwarzer Humor vom Feinsten, nicht vordergründig aktualisiert. Zilz ist ohnehin der Erzkomödiant des Halberstädter Ensembles. Und Wasikowski war noch nie so komisch wie in der Rolle des Abendwinds. Er gibt ihm statt der wienerischen Klangfärbung ein sächsisches Kolorit. Das funktioniert prächtig! Zwei saubere Spitzenpolitiker, die sich belauern, umkreisen, auf die Schwächen des Gegners warten. Blutbesudelt ist schließlich nur der gummibestiefelte Koch (Klaus Schatter).

Die Regisseurin Andrea Moczko lässt genüsslich alle Pointen des 150 Jahre alten Textes ausspielen. Alle Drehungen und Wendungen dieses "greulichen Festmahls", das Nestroy 1862 als indianische Faschingsburleske in einem Akt schrieb. Franz Gronemeyer schuf ihr für das Fantasiespiel die Dekoration, treffliche Kostüme und Masken. Nichts Überflüssiges.

Das Politik-Gerangel endet im Patt mit Happy End. Mit einer Familienzusammenführung. Häuptling Abendwinds wilde Tochter im Bast-Röckchen Atala (Bettina Pierags) und Biberhahns Sohn, der hochelegante, in der zivilisierten Welt ausgebildete Friseur Arthur (Ki Soo Yoo), finden sich. Nicht er, sondern der Glücksbär (Nils Willeke) kam auf den Teller. Gemeinsam stampfen sie den Papatutu-Hit, die kriegerische Stammeshymne. Die Show geht weiter...

Chefdramaturgin Susanne Range ist die Wiederentdeckung der Offenbachschen Operette und das informative Programmheft zu danken. Die kostümierte Korrepetitorin Violetta Kollar zelebriert am E-Piano mit größtem Vergnügen die musikalische Begleitung für die stimmgewaltigen Solisten. Die Kammerspiel-Produktionen mit ihr haben seit Jahren Kultstatus. Auch diese!

Weitere Aufführungen in Halberstadt u.a. am 4., 18. und 25. Oktober, im November auch in Quedlinburg.