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Sinfonischen Saison Wernigerode Leise Eleganz - nur das Umblättern der Noten war zu hören

Von Hans Walter 27.10.2014, 01:12

Wernigerode l Es war so etwas wie ein vierblättriges Glücks-Kleeblatt - das erste Konzert "Stunde der Klassik" der Saison 2014/15 am Freitag im Fürstlichen Marstall Wernigerode. Unter Leitung von MD Christian Fitzner musizierten das Philharmonische Kammerorchester, das Orchester des Nordharzer Städtebundtheaters sowie der Frauenchor und der Männerchor 1848 der "bunten Stadt".

Die Vier-Zahl bestimmte auch das über dreistündige Programm. Von Peter Tschaikowski erklangen das "Capriccio Italien" und das wohl bekannteste Klavierkonzert der Welt - die Nr.1 in b-Moll; von Ludwig van Beethoven die Chorfantasie und die Sinfonie Nr. 7 in A-Dur. Über 400 Besucher erlebten ein großes Fest der Klassik und Romantik. Die 1813 entstandene 7. Sinfonie dirigierte Fitzner auswendig. Das inspirierte auch die Musiker beider Klangkörper, die transparent wie ein Kammerorchester aufspielten.

Fitzner dirigierte die Sinfonie auswendig

An manchen Pianostellen war das Umblättern ihrer Noten das lauteste Geräusch. Fitzner ziselierte mit Eleganz und Präzision die rhythmischen Strukturen und entfachte ein wahrhaft sinfonisches Feuer.

Der Mann braucht keine Zumba-Fitness - er tanzte diese Musik "der Freude, des Glücks und der Lebensbejahung" förmlich auf dem Dirigentenpult. Gelöst und leicht - wie eine selbstvergessene Barlach-Skulptur.

Freude pur - ein Markenzeichen des Konzerts, das Freiheitsdrang und russische Seele vereinte. Vom 1880 entstandenen "Capriccio Italien" mit den markant strahlenden, blitzsauberen Blechbläser-Fanfaren zu Beginn und den lebensprallen neapolitanischen Volkstänzen führte eine Linie direkt zu Beethovens Fantasie für Klavier, Chor und Orchester (1808). Die Sinfoniker und die Chöre mit der aus Nowosibirsk stammenden und jetzt in Halberstadt lebenden Pianistin und Organistin Olga Bechtold musizierten das Werk mit Charme, Freude und Leidenschaft.

Einen Hörgenuss besonderer Art bot mit Tschaikowskis Klavierkonzert b-Moll op. 23 der erst 26-jährige Virtuose Viktor Urvalov. Er ist der Sohn des Meisterpianisten Alexander Urvalov; 1991 emigrierte die Familie aus Nowosibirsk nach Dresden. Am Ob in der drittgrößten Stadt Russlands aber schließen sich Lebenskreise zwischen Bechtold und Urvalov ...

Der junge Pianist war voll konzentriert darauf, die innere Schönheit des 1875 uraufgeführten Klavierkonzerts offenzulegen. Mit Sicherheit und Spielfreude gewann er die Herzen.

Eine große, reife Interpretation; zugleich eine Vorfreude auf den 9. November: Das Kammerorchester Wernigerode musiziert mit den Solisten Wolfgang Manz sowie Vater und Sohn Urvalov drei Klavierkonzerte von Rachmaninow, Schostakowitsch und Tschaikowski in der Universität Marburg.

Für den stürmischer Applaus dankte Viktor Urvalov mit einer Zugabe - der träumerischen Barkarole aus Tschaikowskis Zyklus "Die Jahreszeiten". Wirklich grandios!