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"Romeo und Julia" Klare Handschrift und große Bilderwucht

Von Caroline Vongries 02.12.2014, 01:21

Magdeburg l "Es wirkt grotesk, von oben zu sehen, dass Menschen sich bekriegen. Das, was wir hier unten tun, sieht von außen nicht richtig logisch aus und scheint das Falsche zu sein." Dieses Fazit zieht der Astronaut Alexander Gerst nach seiner Zeit im Weltraum. Für die Magdeburger Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz ist das Theater eine Art Raumschiff, in das sie ihr Publikum packt und mit Shakespeares Text und reichlich Theaterdonner befeuert ins All schießt.

Romeo und Julia erweisen sich erstaunlich fit fürs 21. Jahrhundert - wobei die handfeste Übertragung Frank Günthers wie eigens zu diesem Zweck geschaffen erscheint. Nicht nur die Welt ist aus den Fugen, weder Familie noch Staat funktionieren mehr als Ordnungsmacht, 2014 ebenso wie 1594. Auch Liebende sind damals wie heute in der Realität und für den Alltag lebensuntauglich, Romeo und Julia schlussendlich Außerirdische. Soll ihre Liebe überleben, bleibt nichts als der Tod. Doch darin liegt ihr Geheimnis, ihre Macht. Die Inszenierung hat keine Angst vor (großen) Gefühlen, mit denen sie unsentimental umgeht, und macht daraus großes Kino - ohne sich postmodern anzubiedern.

Nicht weit von bekannten Party- und Fernsehbildern entfernt liegt die Welt der verfeindeten Familien Romeos (Philipp Quest) und Julias (Jenny Langner), in der alle auf der Suche nach dem ultimativen Kick sind, Männer wie Frauen, eitle Großstadtcowboys und derangierte Saloonladies, ganz egal, ob sie zu den Montagues (Romeo) oder Capulets (Julia) gehören. Angekokst wird ausgelassen zu Housemusik getanzt, alles triebgesteuert: Sex ist Thema Nummer eins. Das dazugehörende Von-Sinnen-Sein korrespondiert mit der entsprechenden Sinnlosigkeit. Demgegenüber erscheint gelebte Sinnlichkeit, wie zwischen Romeo und Julia, als das einzige Heil- und Gegenmittel. Romeo, von der Geliebten kommend, verweigert verzweifelt den Kampf, zu dem ihn ein Vetter Julias, der brutale Schläger Tybalt (Alexander von Säbel), provozieren will. Doch in der (fiktiven) Realität ist die Gewalt stärker als die Liebe. Als Tybalt Romeos Freund Mercutio (Konstantin Lindhorst) tötet, rastet Romeo aus, tötet seinerseits Tybalt und türmt die Blutschuld als unüberwindbares Hindernis zwischen sich und Julia auf - mit dem bekannt blutigen Ergebnis: dem Freitod beider Liebenden. Crombholz überzeichnet die Grausamkeit der Gewaltexzesse grotesk durch Beschleunigung im Stroboskoplicht und dehnt sie bis ins Unerträgliche, indem sie ihre Akteure in Zeitlupe agieren lässt (inklusive der Geräusche!). Das anfängliche Lachen über die Absurdität der illusionär verzerrten Situation bleibt mehr und mehr im Halse stecken, zuletzt mit Julias Röcheln, als diese sich die Kehle durchschneidet. Wie zeigt man Tod, Gewalt in einer Welt, die das Abschlachten echter Menschen vor laufenden Kameras inszeniert?

Doch darum geht es Crombholz nicht primär. Mit Hilfe von gedehnter Zeit, schwebendem Raum (wunderbar zwischen Himmel und Erde baumelnd die Kemenate Julias), Szenenwechseln und Schnitten durch Musik mit allem, was das Theater zu bieten hat, schafft sie der Liebe einen Ort. Romeo und Julia, beide tot, haben zwar nicht das letzte Wort, jedoch das letzte Bild gehört ihnen. In ihren mit reichlich Theaterblut verschmierten Kleidern, erheben sie sich über die Realität hinaus, in der ihre Väter sich weiter wie die Kesselflicker kloppen. Das Theater bewahrt nicht die Illusion einer friedlichen Welt, aber den Traum von Liebe auf volles Risiko und von all dem, was im Leben vielleicht nicht lebbar ist und was es dennoch gibt.

Ein bewegter Theaterabend, ein wunderbar zeitgemäßes Liebespaar, Julia in ihrer Verletzlichkeit glasklar, Romeo zwischen den Extremen hart an der Borderline-Persönlichkeit flirrend, vor allem eine bestechende Ensembleleistung (neben den Genannten Michaela Winterstein als Amme mit Haaren auf den Zähnen, Susi Wirth und Sebastian Reck als korrumpiertes Elternpaar Capulet, Ralph Opferkuch, Raphael Gehrmann, Konstantin Marsch, Thomas Schneider). Hervorzuheben ist neben einer auf die Kraft des Shakespeareschen Wortes vertrauende Dramaturgie (Oliver Lisewski) noch das intelligent verknappte Bühnenbild (Marcel Keller), im Kontrast dazu verspielte Kostüme (Christiane Hercher) und ein Ensemble, das die Musik zur Szene macht, der einzige Ort, an dem die Konfliktpartner vereint sind. Sehenswert!