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Geschichte des Lagers Auschwitz Versklavung und Vernichtung

Von Grit Warnat 07.04.2015, 03:21

Leipzig/Berlin l Es gibt zahlreiche Publikationen über Auschwitz, Dokumentationen, Überlebensberichte, Filme. Zum 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers weitere 250 Seiten - vorgestellt auf der Buchmesse Leipzig. Autorin Susanne Willems hat sich an eine akribische, komprimierte Rekonstruktion der Geschichte des Lagers gewagt und wertet bislang unveröffentlichte Dokumente aus.

Die Historikerin forscht seit Jahrzehnten zum Thema, arbeitete jahrelang in Oswicim. In ihrer aufwendigen Recherche hat Willems eine Fülle an Zahlenmaterial und Zitaten zusammengetragen. Ihr Verdienst: Sie zeigt detailreich auf, wie das Lager Auschwitz von einem Ort der Internierung und Folter zu einem bürokratisch geplanten Lager der systematischen Versklavung und Vernichtung Hunderttausender Menschen ausgebaut wurde.

Mai 1940. Vorhandene polnische Kasernen- und Stallgebäude, ausgelegt für 2100 Mann und 836 Pferde, finden die Nazis für ein Konzentrationslager geeignet. Anfangs ging es um eine Mindestausstattung eines KZ: elektrische Drahtsicherung, Lagermauer, Außenbeleuchtung. Zwei Millionen Reichsmark wurden veranschlagt. Der erste Transport politischer Gefangener traf am 14. Juni 1940 in Auschwitz ein. Was folgte, waren jahrelange Baustellen, eine stete Erweiterung. Auschwitz wurde zum Arbeitskräftereservoir für die gesamte deutsche Wirtschaft.

Lageplan von Rüstungsminister Speer

Das KZ-Wirtschaftsgebiet wurde ausgebaut, die I. G. Farbenindustrie AG, damals weltweit größtes Chemieunternehmen, siedelte sich dank Tausender KZ-Sklavenarbeiter vor Ort an. Krupp folgte, ließ 1942 eine riesige Werkhalle errichten. Die Weichsel-Union-Werke produzierten ab 1943 für die deutsche Rüstung.

Es ging um Vernichtung durch Arbeit und es ging um Profit. Die SS schuf sich in Auschwitz ein Heer von Arbeitssklaven, die sie deutschlandweit an Unternehmen vermietete. Für zehn Stunden Schinderei je Tag zahlte die deutsche Industrie drei bis sechs Reichsmark an die Nazis. Die Menschheit weiß, was in Auschwitz aus dem Menschen herausgeholt wurde. Erst die Arbeitskraft, dann, was zu verwerten war: Haare, Schuhe, Kleidung, Brillen, Geschirr. Hierzu gibt es wenig Text, dafür unter die Haut gehende Fotokunst von Fritz und Frank Schumann.

Der Band lebt von der Optik. Gleise, Wachtürme, Desinfektionskammern, Pritschen, Haarschneideraum, Stacheldraht, Gitterstäbe, im diffusen Licht die Gaskammer im Stammlager. Der Innenhof zwischen Block 11 und 10 mit der Schwarzen Wand als Kugelfang der Exekutionen. Bedeckter Himmel, immer wieder Nebel. Hier schien keine Sonne. Die Atmosphäre bedrückt, die Einstellungen berühren.

Sachlich, akribisch dagegen der Lageplan von Rüstungsminister Albert Speer. Im September 1942 hatte Berlin Auschwitz zum "Bauvorhaben höchster Dringlichkeit" erklärt. Speer brachte sich höchstpersönlich ein, Weiterbau, neuer Lagerabschnitt, neue Krematorien. 14 Millionen Reichsmark sollten verbaut werden. Den Plan, in dem die Bauwerke des "Sonderprogramms Prof. Speer" eingetragen sind, hat die Autorin im Militärarchiv Prag entdeckt. Er ist in diesem Buch erstmals veröffentlicht. Es ist ein gezeichnetes Zeugnis für die expandierende Mordmaschinerie und ein weiterer Beleg für Speers Wissen um die Vernichtung der Juden.

Barackenmeer für immer mehr Arbeitssklaven

Ein Barackenmeer für immer mehr Arbeitssklaven und Verbrennungsöfen für die sogenannte "Lösung der Judenfrage". Birkenau stand für Selektionen. Wer nicht mehr arbeitfähig eingestuft wurde, wurde ins Gas geschickt.

Willems zeigt auf, wie die Wirtschaft und die SS verbrecherisch verflochten waren, wie die Häftlingsanforderungen der Industrie eingelöst wurden. Schuhwerke, Steinkohleförderung, chemische und metallverarbeitende Industrie, Rüstungsbetriebe, Energiewirtschaft. Die Liste der Firmen, die Willems nennt, ist lang. Im letzten Quartal 1943, als im Lager 90000 Menschen vegetierten, waren 46000 Männer, Frauen und Jugendliche Arbeitssklaven.

Zum Schluss des Buches die Befreiung, das Museum und ein Grabmal, auf dem beschriebene Steine der Erinnerung liegen.

7000 Menschen wurden am 27. Januar 1945 von den Truppen der Roten Armee befreit. 1,1 Millionen Kinder, Frauen und Männer haben Auschwitz nicht überlebt.