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Designerin Barbara Mit den Händen erdacht

12.05.2015, 01:18

Anlässlich des 100. Geburtstages der Kunsthochschule Burg Giebichenstein zeigt die Kunststiftung Sachsen-Anhalt eine Ausstellung der Designerin Barbara Schmidt. Die Berlinerin studierte in Halle und gehört zu den erfolgreichsten Absolventen der Kunsthochschule. Für die Volksstimme sprach Uta Baier mit ihr.

Eine Tasse ist ein Gefäß mit Henkel, bunt oder einfarbig, matt oder glänzend - muss die Tasse eigentlich immer wieder neu erfunden werden?
Barbara Schmidt: Klar gibt es Tassen schon seit Tausenden von Jahren. Aber eine Tasse ist mehr als ein Ding, das man zum Mund führen kann und das nicht kleckert. Es gehört auch dazu, dass es der Zeit entspricht, dass es dem Benutzer gefällt. Es gibt da einen starken sozialen Aspekt, denn eine Tasse oder ein Teller oder ein ganzes Service drücken auch ein bestimmtes Lebensgefühl aus.

Welches Lebensgefühl drücken Ihre Entwürfe aus?
Ich glaube, man versammelt sich heutzutage wieder gern um einen gedeckten Tisch. Dabei geht es nicht so sehr darum, den Tisch mit einem Service perfekt zu decken, sondern um Vielfalt und Individualität. Gleichzeitig bildet sich ein größeres Qualitätsbewusstsein für die Zutaten und auch das Qualitätsbewusstsein in Bezug auf Geschirr wird wichtiger. Wer viel digital arbeitet, für den werden Sinneseindrücke interessanter: Der Klang von Materialien, die Oberflächen spielen eine zunehmende Rolle. Die industrielle Reproduzierbarkeit bleibt wichtig, aber der Fehler, die Abweichung, die ein Stück individuell machen, wird mehr in die Industrieproduktion eingehen. Mir geht es deshalb darum, ein Sinneserlebnis zu gestalten.

Wie gestaltet man Sinneserlebnisse mit Geschirr?
Zum Beispiel durch Oberflächen. Man kann Teile der Oberflächen von Porzellan anrauen, kann ihm insgesamt eine Struktur geben. Man kann eine Struktur unter der Glasur andeuten. Das nennt man "visuelle Taktilität" - man weiß, wie sich etwas anfühlt, bevor man es berührt.

Sie haben sich 1986 entschieden, an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle zu studieren. Warum Halle?
Die Burg Giebichenstein hatte schon immer einen guten Ruf. Es war einfach eine der besten Kunsthochschulen - allerdings gab es damals auch nicht so viel Auswahl. Doch ich könnte mir auch heute gut vorstellen, in Halle zu studieren.

Was war das Wichtigste, das Sie gelernt haben?
Ich habe dort gelernt, mit den Händen zu denken.

Wie das?
Ich habe Produktdesign studiert mit der Spezialisierungsrichtung Keramik und Glasdesign und da waren wir von früh bis spät in der Werkstatt. So gab es sofort die Rückkopplung zwischen dem, was im Kopf war, und dem, was daraus entstand.

Es gibt immer mal wieder Diskussionen darüber, ob Kunsthochschulen Grundtechniken wie Zeichnen vermitteln sollen. War Ihnen das wichtig?
Es war mühsam und zum Teil akademisch, aber ich habe im Nachhinein verstanden, wofür das gut war: nämlich um locker zu werden und um Zusammenhänge zu verstehen. Es gibt im Produktdesign Leute, die können nicht zeichnen und machen trotzdem großartige Sachen. Aber ich denke, das ist schon eher die Ausnahme. Zeichnen können hilft, Gedanken zu formulieren.

Sie bekamen gleich nach dem Studium 1991 einen Job bei KAHLA in Thüringen, haben die Firma in der heutigen Form mit aufgebaut und sind Chefdesignerin. Das ist eine geradezu märchenhafte Karriere.
Märchenhaft ist ein schönes Wort, auch wenn es mir damals nicht so vorkam. Heute muss ich sagen: Was für ein wahnsinnig glücklicher Zufall. Im Studium habe ich immer gedacht, ich würde nur für die Schublade arbeiten, denn in der DDR war es die große Ausnahme, dass Entwürfe produziert wurden. Bei KAHLA hatte ich dann das Aha-Erlebnis, dass die Sachen, die ich entworfen habe, in große Serie gegangen sind.

... und mit den wichtigsten Designpreisen ausgezeichnet wurden und werden. Wie entstehen Ihre Entwürfe?
Für mich brauche ich nur so kleine Skizzen, die - wenn ich Glück habe - mit einer Linie einfangen, wie etwas aussehen soll. Dann übertrage ich den Entwurf ins Dreidimensionale. Dafür mache ich Gipsmodelle, die dem Porzellan schon sehr nahe kommen. Ich entwerfe eins zu eins. Die Henkel schnitze ich.

Interessieren Sie die Möglichkeiten, die sich mit den neuen 3-D-Druckern eröffnen?
Die Möglichkeiten sind groß. Das verfolge ich mit viel Interesse bei Studierenden, die ich betreue. Aber ich arbeite weiter lieber handwerklich mit Gips.

Trotz aller Neuerungen bleibt ein Service eine Ansammlung von Tellern und Tassen.
Porzellandesign gilt als niederkomplex, ich finde, es ist hochkomplex. Denn wenn ich eine Tasse gestaltet habe, kommt die Kanne, zu der die Tasse in Beziehung steht - aber sie erfüllt andere Aufgaben, die sich zum Beispiel in unterschiedlichen Henkelformen widerspiegeln. Das abzustimmen, in Einklang zu bringen, ist ein komplexer Prozess. Dann kommen auch noch Teller und Schüsseln dazu.

Sie haben für Ihr Service mit dem Namen "Five Senses" (2000/2001) die Tasse aus der Mitte der Untertasse gerückt - das ist genial, witzig, irritierend und auch noch praktisch, denn es passt mehr auf eine Untertasse. Wie kamen Sie darauf?
Ich habe mich damit beschäftigt, wie man kleine Veränderungen an bekannten Gegenständen schaffen kann. Veränderungen, die manchmal einen Funktionsgewinn bringen oder/und eben diese kleine Irritation. Irritationen schärfen die Wahrnehmung.

Welches Geschirr benutzt die Geschirrdesignerin selbst?
Ich hatte zu Hause immer Porzellan aus unterschiedlichen Quellen, das ich gemischt habe. Seit ich für KAHLA 1998/99 "Update" gemacht habe, war es das erste Mal so, dass ich wusste, dass ich das auch selbst haben möchte.