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Schloss Wernigerode Bismarck beim Grafen

Zum 200. Geburtstag Otto von Bismarcks widmet das Schloss Wernigerode dem Reichsgründer und seiner Innenpolitik eine Sonderausstellung.

Von Grit Warnat 31.07.2015, 07:51

Wernigerode l Hoch oben über Wernigerode heben sich die Türme des Schlossensembles in den Himmel. Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode hat maßgeblichen Anteil am heutigen Aussehen des märchenhaften Ensembles. Schließlich war es der Graf, der dank seines politischen Aufstiegs das Schloss zwischen 1862 bis 1885 umbauen ließ. Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode bekleidete von 1878 bis 1881 das Amt des Vizekanzlers. Er gehörte zu den Wegbegleitern Otto von Bismarcks, war in dessen Reichspolitik stark involviert. So verwundert es nicht, dass in den Schlossräumen ein Porträt Bismarcks hängt. Für die Sonderausstellung "Positive und organische Reformen. Otto von Bismarck und die Innenpolitik" ist es in die Sonderausstellung umgezogen.

Das 1898 von Franz von Lenbach geschaffene Gemälde, es ist das letzte zu Lebzeiten entstandene Ölporträt des Reichskanzlers, eine Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland, ist Blickfang im ersten Ausstellungsraum. Er trägt die Uniform vom Magdeburgischen Kürassier-Regiment Nr. 7, das in Halberstadt stationiert war. Das Original aus Wolle, Baumwolle und Metallgespinst steht in Nachbarschaft in einer Vitrine und ist laut Schloss-Chef Christian Juranek eines der wichtigen Exponate der Schau, die er gemeinsam mit Diana Stört kuratiert hat. Getragen hat Bismarck den maßgeschneiderten Überrock zu offiziellen Anlässen, so bei Reden im Reichstag oder im Preußischen Abgeordnetenhaus. Es ist eine Leihgabe des Bayrischen Nationalmuseums München, das den Überrock für die Ausstellung restaurieren ließ.

Umrahmt wird die Uniform von einer Galerie mit Handzeichnungen, Radierungen, Lithografien, darunter das laut Juranek älteste bekannte Bismarck-Porträt sowie zwei Ganzfigurporträts - das eine in Lebensgröße (Bismarck war 1,93 Meter groß) aus dem Elsass, das andere eine Graphitarbeit auf Papier von Ludwig Kraus. Der einstige renommierte Professor an der Berliner Akademie hat Bismarck und eine seiner Doggen gezeichnet.

Porträts, Überrock, Holzschnitte vom Anwesen in Friedrichsruh sind Start in eine Ausstellung, die die Innenpolitik mit den Bismarck`schen Sozialgesetzen unter die Lupe nimmt, die Deutschland bis heute prägen. Was bewegte ihn zu der Entscheidung, soziale Reformen durchzuführen und sich im "Kulturkampf" mit den Kirchen anzulegen?

Die Beantwortung beginnt mit einem unspektakulären Exponat: Zwei in Glas und Gold gefassten Schrotkugeln. Sie stammen vom zweiten Attentat auf Kaiser Wilhelm I. von 1878. Bismarck nutzte das Attentat, um den Reichstag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, die zu seinen Gunsten verliefen. Mit den Stimmen des neuen Reichstags hatte Bismarck das Sozialistengesetz de facto als Parteiverbot durchsetzen können, zugleich begann er eine staatliche Fürsorgepolitik.

Hintermänner dieser Fürsorgepolitik sind für die beiden Kuratoren die Wegbegleiter, "Vize" Graf Otto zu Stolberg, der Quedlinburger Robert Bosse, Verfasser der sogenannten Sozialpolitischen Botschaft, und Sozialreformer Theodor Lohmann, der unter anderem das Unfallgesetz formulierte. Bosse und Lohmann sind heute kaum noch bekannt. Keineswegs dürfe man nur Bismarck die Umsetzung der Sozialgesetzgebung zuschreiben, sagt Juranek. Für ihn waren Stolberg, Bosse und Lohmann treibende Kräfte. "Sie wollten eine Sozialpolitik aus christlicher Nächstenliebe." Diana Stört bekräftig: Es seien die Menschen im Hintergrund gewesen, die leidenschaftlich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen gearbeitet haben.

Interessant auch der damalige Nachweis zur Altersversicherung: Ausgestellt ist eine Sammelkarte mit eingeklebten Marken, die bei der Polizei gekauft werden konnten und die ordnungsgemäße Einzahlung der Rentenbeiträge bescheinigte.

Sehr differenziert zeigt die Ausstellung das Wirken des 1898 gestorbenen Reichsgründers. Gegenspieler wie Liebknecht, Bebel, Virchow haben Raum, ebenso Karikaturen, die den autoritäten Regierungsstil aufspießen, bis hin zu Theodor Fontane, einem der größten Bewunderer, aber auch Kritiker.

Ausstellung: bis 1. November im Schloss Wernigerode