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Schmerzlosigkeiten oder: Eiger-Nordwand barfuß

Von F .-René Braune 08.04.2010, 04:52

Am Telefon hatte Haralds Stimme geklungen, als würde ihm sein Blutdruck jeden Moment das Gebiss rausschieben. Kurzentschlossen hatte ich ihn zu mir gebeten. Entgegen der üblichen alkoholisch orientierten Bewirtungsstrategie stand auf dem Küchentisch frisch gebrühter Beruhigungstee aus selbst geernteten Pfefferminzblättern mit einer kräftigen Prise Johanniskraut. Ein gerüttelt Maß Lavendel rundete meine Rezeptur ab. In der Hoffnung, damit eventuellen Depressionen ebenso wie nervösen Darmkrämpfen entgegenwirken zu können, hatte ich meiner Kräuterkreation den Namen " Spirit of Dannigkow " gegeben.

Zwei Minuten später betrat mein Freund die Küche, schnupperte an dem Tee und fragte, ob ich mit seiner Freundin unter einer Decke stecken würde. Dann senkte er den Kopf, nuschelte " Auch du, mein Freund Brühwurst ?" und fügte hinzu, dass Sabines Methode wenigstens nichts mit Gift zu tun habe.

Mir wurde schlagartig klar, dass ich aus meinem Geduldsfaden umgehend ein Seil machen müsse, wenn unsere Freundschaft dieses Treffen überleben sollte. Also trank ich meine Tasse in einem Zuge und fragte, worin meines Freundes Problem bestehe. Haralds mehr gehauchte denn gesprochene Antwort ließ mich erschauern : " Ich glaube, dass meine Freundin Sabine mich loswerden will. "

Die folgenden zehn Minuten ließen mich den Zustand der Fassungslosigkeit in einer neuen Dimension erleben : Mit einer Stimme, die zwischen Larmoyanz und völligem Versagen schwankte, erzählte Harald, dass Sabine ihn gestern bei leichtem Nieselregen und einer gefühlten Windstärke vier zu einer Radtour aufgefordert hatte. In wetterfester Kleidung, die sie eigens zu diesem Zweck zum Aktionspreis erstanden hatte. " Dahinter steckt doch System !", rief mein Freund mit bedrohlichem Timbre. " Kommt als nächster Schritt das Eisbaden, bis ich vollends erstarrt und leblos bin ? "

Harald hatte sich mittlerweile in einen Zustand hineinerregt, der jeden Wortmeldungsversuch absurd erscheinen ließ. " Habe ich vielleicht jemals geschworen, bei gutem wie bei schlechtem Wetter zu ihr zu halten ?", rief er rein rhetorisch. " Soll ich mich etwa in ein wasserdichtes Ganzköperkondom zwängen, nur, um die mitteleuropäischen Witterungsunbilden und ihre niederträchtigen Niederschlagsneigungen zu überleben ? Es mag ja sein, dass Frauen keinen Schmerz empfinden, aber müssen sie sich ersatzweise an meinem weiden ? Warum können sie nicht einfach frieren wie jeder normale Mann ?"

Als Harald aufstand und sich ein Bier aus dem Kühlschrank nahm, nutze ich die Pause, um ein Wörtchen mitzureden : " Um eines klarzustellen – Sabine wollte Rad fahren, richtig ?" Als mein Freund nickte, fuhr ich umgehend fort : " Dann tu doch nicht so, als solltest du barfuß die Eiger-Nordwand besteigen ! Ein bisschen Bewegung kann dir wahrlich nicht schaden, und wahrscheinlich war genau das Sabines Motiv – die Sorge um deinen Kreislauf. Sie will dich nicht loswerden, sondern behalten. "

Nach ein paar Sekunden nachdenklichen Zauderns flüsterte mein Freund, dass er zwar kein geborener Kreisläufer sei, mein Anliegen aber verstanden habe.

Um ganz sicher zu gehen, dass die Stimmung nicht mehr kippen würde, ging ich jetzt zum Kühlschrank. Dort stand noch ein Fläschchen Absinth …