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Kulturpolitik Ohne Museum droht die Tonne

Wenn Künstler sterben, bleiben die Kunstwerke übrig. Schlimmstenfalls landen sie im Müll. In Sachsen-Anhalt gibt es eine Lösungsidee.

Von Violetta Kuhn 16.05.2016, 00:00

Magdeburg (dpa) l "Ich schlafe in Bildern", sagt Heidi Wagner-Kerkhof. Die Bildhauerin meint damit: Ihr ganzes Schlafzimmer steht voll mit Kunstwerken ihres verstorbenen Ehemanns. Seit fast sechs Jahren ist der Maler Hannes Wagner tot. So lange versucht seine Witwe nun schon, einen würdigen Aufbewahrungsort für seine Zeichnungen, Radierungen und Briefe zu finden.

Das ist alles andere als leicht. An Kunstliebhaber verkaufen? "In Sachsen-Anhalt ist das Thema ein Problem, weil es so wenige Abnehmer gibt", sagt Ruth Heftrig vom Berufsverband Bildender Künstler. An Museen geben? Das klappe nur selten. Wer sich keine Lagerräume leisten könne, sehe sich deshalb auch mal gezwungen, die Kunst der verstorbenen Lieben wegzuwerfen. Für Wagner-Kerkhof kommt das nicht in Frage. Ein angemieteter Lagerraum stellte sich als feucht heraus, daher nun die Schlafzimmer-Notlösung. Immer mal wieder verkaufe sie etwas, sagt die Bildhauerin. Eine Skizze hat sie dem Kunstmuseum Moritzburg in Halle geschenkt. Ob das Haus etwas kaufen werde, wisse sie nicht.

 

"Wenn wir Werke in unser Haus aufnehmen, müssen sie in das Konzept des Museums passen", sagt Thomas Bauer-Friedrich, Direktor des Kunstmuseums Moritzburg. Bei den Bildern des Fotografen Hans Finsler hat es im Jahr 1986 gepasst – sein Nachlass bildete den Grundstock für die damals neu geschaffene Sammlung "künstlerische Fotografie". Und kürzlich kamen Teile des Nachlasses von Marielies Riebesel, einer im vergangenen Jahr gestorbenen Gobelinweberin, in den Bestand.

Fünf- bis zehnmal pro Jahr wendeten sich Erben mit der Frage an sein Haus, ob ein Nachlass übernommen werden könne, berichtet Bauer-Friedrich. Genau könne er nicht sagen, wie viele Stücke daraus letztlich ins Depot kommen, aber es sei "nicht sonderlich viel". Das sei bedauerlich: Manchmal erkenne man erst später die Wertigkeit eines Künstlers – und dann seien die Werke im schlimmsten Fall schon entsorgt.

Die meisten Museen hätten schlicht nicht genug Platz, sagt Bauer-Friedrich: "Wir haben schon Probleme unsere eigene bisherige Sammlung aufzubewahren." Und es sei nicht damit getan, neue Werke aufzunehmen. Nachlässe müssten erfasst, erforscht und inventarisiert werden. "Das ist ein sehr großer personeller, zeitlicher, finanzieller Aufwand."

Der lohnt nicht immer, betont der Sammlungskurator des Kunstmuseums Kloster unser lieben Frauen in Magdeburg, Uwe Gellner. Das, was im Nachlass übrig geblieben sei, sei oftmals nicht unbedingt von besonderer Bedeutung. "Die wichtigen Dinge sind meistens schon raus." Wenn überhaupt würden Einzelwerke aufgenommen, aber praktisch nie ganze Nachlässe.

Heftrig vom Berufsverband Bildender Künstler macht den Museen keinen Vorwurf. Es sei verständlich, dass sich Museen "die Rosinen herauspicken". "Es ist auch gar nicht deren Aufgabe, komplette Nachlässe aufzunehmen", meint sie. Stattdessen fordert ihr Verband, auf lange Sicht eine Art Nachlass-Archiv für das ganze Land einzurichten. Darin sollen die Werke toter Künstler gesammelt, ausgestellt und wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Sonst drohten weiterhin Teile des kulturellen Gedächtnisses verloren zu gehen. In Pulheim bei Köln etwa gibt es so ein Archiv schon.

Der neue Kulturminister Rainer Robra (CDU) erklärt dazu: "Wir werden prüfen, ob sich eine derartige Initiative gemeinsam mit anderen Ländern, etwa im Rahmen der Initiative Mitteldeutschland, verwirklichen lässt und wie sich gegebenenfalls eine Finanzierung sicherstellen ließe." Annegret Thiede steht noch ganz am Anfang des Weges: Sie kümmert sich um die Plastiken ihres erst vor wenigen Wochen verstorbenen Vaters. Gezählt habe sie die Kunstwerke noch nicht, aber seine ganze Werkstatt sei voll davon. "Da steht ein Schatz", sagt sie. "Das muss irgendwo hin, wo Leute die Chance haben, das zu sehen."