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Musical Vorstellung mit Standing Ovations

Das Musical „Cabaret“ von John Kander und Fred Ebb im Magdeburger Opernhaus macht die Verunsicherung hinter dem Glamour der Welt spürbar.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 28.11.2016, 06:18

Magdeburg l Um es vorweg zu nehmen: „Cabaret“ ist kein Musical, wie die meisten anderen. Wer sich entspannt wunderschönen Melodien hingeben, die große Show mit knisternder Erotik und pure Unterhaltung erleben will, der wird dies alles vorfinden, und dennoch feststellen, dass in diesem Stück und in dieser Inszenierung viel mehr steckt. Hinter dem Glamour und den zuckenden Lichtern steht eine zutiefst politische, packende und aufrüttelnde Warnung, die einen nicht loslässt, die eine beängstigende Parallelität aktueller Ereignisse skizziert, ohne dies auch nur einmal direkt auszusprechen. Doch der Reihe nach.

„Cabaret“ hatte seine Uraufführung 1966 am New Yorker Broadway. Die zutiefst verkrustete und in scheinheilig biederen Konventionen versunkene amerikanische Gesellschaft begann gerade aufzubrechen. Da war dieses Stück von John Kander und Fred Ebb, voll von zügelloser Frivolität, sexueller Freizügigkeit, der fast zwanghaften Sucht nach Vergnügen, nach Vergessen der täglichen Probleme, dem Ertrinken im Rausch der Sinne, eine pure Provokation. Möglich war das nur, indem die Handlung Silvester 1939 in Berlin spielt. Der offenbar talentlose amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw reist in diese Stadt, die „auf dem Vulkan tanzt“, um Inspiration zu finden.

Oliver Morschel spielt und singt diese Rolle höchst professionell. Er ist in Magdeburg kein Unbekannter, hat auf dem Domplatz-Open-Air 2013 bei „Le Miserable“ mitgewirkt. In seiner Rolle findet er bei Fräulein Schneider – überzeugend Kammersängerin Undine Dreißig – in deren Pension auf Vermittlung des frühen strammen Nazi-Anhängers Ernst Ludwig ein Zimmer. Markus Liske spielt diesen verschlagenen Typ, der recht schnell sein wahres Wesen offenbart, nicht nur in der gewohnten sängerischen Qualität, er vermag auch diesen Veränderungsprozess überzeugend darzustellen.

In der Pension kulminiert das Geschehen. Die Protagonisten sind hier auf ganz engem Raum ebenso Antagonisten. Der auch nach seiner sexuellen Orientierung suchende Schriftsteller trifft im sündigen Berlin auf die bekannte Sängerin des Nachtklubs Kit-Kat, Sally Bowles, die kurzerhand samt Pelzmantel zu ihm in die Pension zieht. Die prätentiöse Künstlerin, innerlich zerrissen zwischen ihren Sehnsüchten, Ängsten, Ansprüchen und der Realität, ist das Opfer ihrer Verdrängungen. Verlassen von ihrem Schriftsteller, opfert sie ihr ungeborenes Kind der Karriere, die auch nur eine Illusion ist. Anna Preckeler, gerade 26 Jahre alt, hat die Partie sängerisch, wenn auch gegenüber dem ungeheuer opulent aufspielenden Orchester unter der Leitung von Damian Omansen mitunter mit Mühe, sehr gut bewältigt. Den infantilen, rücksichtslosen und doch so verletzlichen Charakter dieser Sally Bowles zu vermitteln, gelang ihr nur teilweise.

Leichter hat es da Sylvia Rena Ziegler als Fräulein Kost, die lust- und humorvoll reihenweise Matrosen vernaschende Liebesdienerin, was sie mit großer Spielfreude zelebriert.

Und natürlich der Obsthändler Schulz, der ebenfalls in der Pension wohnt und der Inhaberin Fräulein Schneider einen Eheantrag macht – unerfüllbar, weil er Jude ist. Diese scheinbare Nebenrolle ist in ihrer inneren Dramatik für die Handlung sehr wichtig. Sie wird von Peter Wittig, der vom Schauspiel kommt, so einfühlsam, naiv-traurig und überzeugend in Szene gesetzt, wie nur er es eben kann.

„Willkommen, bienvenue, welcome“ klingt es eingangs und zum Ausklang vom Conferencier auf der großen Showtreppe des Kit-Kat-Klubs. Diese Rolle, mit dem Musical-Star Adrian Becker besetzt, ist ein absoluter Glücksgriff. Es ist die Meta-Ebene dieses Musicals, in dem er die Ereignisse treibt, kommentiert, andeutet; manchmal abstoßend teuflisch-zynisch ist.

Adrian Becker zieht alle Register seiner großen Musical-Karriere - und das sind einige.

Das ganze verwirrend bunte, glamouröse und mit großartigen Kostümen versehene Geschehen lässt an keiner Stelle vergessen, dass dies alles nur Fassade ist, hinter der sich etwas Ungeheuerliches verbirgt, was Angst verursacht. Eine Gefahr, die man nur allzu gern verdrängt, nicht wahrhaben will. Das immer präsent zu halten, ist die Inszenierungskunst von Sebastian Ritschel, der Regie, Bühne und Kostüm in seiner Person vereint hat.

Die Bühne, eine riesige Freitreppe und ein Raum der Pension, bilden abwechselnd die Showtreppe des Klubs oder die aus Nazi-Aufmärschen bekannte Treppen-Gigantomanie, während die inneren Konflikte im Pensionszimmer kulminieren. Trotzdem hätte ein wenig Zurückhaltung in der Ausstattungssymbolik der großen Schlussszenen gut getan, denn das ließe mehr Raum für die Erkenntnisse und Einsichten der Zuschauer.

„Das Cabaret ist die Welt, und die ganze Welt ist ein Cabaret!“ Dieser Satz ist an Aktualität kaum zu übertreffen. Und wem die Welt nicht egal ist, der muss diese Inszenierung sehen.