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Puppentheater Hippie auf Schöpfungstrip

Die Schöpfungsgeschichte in einer Stunde. Lennart Morgenstern erfindet im Magdeburger Puppentheater die Welt neu.

Von Kathrin Singer 11.04.2017, 23:01

Magdeburg l Dass Astrid Griesbach Geschichten nicht brav vom Blatt erzählt, dürfte jedem klar sein, der ihre Interpretationen von Goethes „Faust“ oder auch die politisch immer noch höchst aktuelle Inszenierung „Der Untertan“ gesehen hat.

Jetzt hat sich die Bilderzauberin auf den Anfang aller Geschichten eingelassen, das Alte Testament. Wie war das noch mit Adam und Eva, oder doch eher Lilith, der ersten, unangepassten Frau des Urvaters? Ausstatterin Lisette Schürer hat Lennart Morgenstern für seine Ein-Mann-Show ein Schöpfungslabor mit spacigem Anstrich gebaut. Ein wenig Dachkammer mit Retrocharme: Wäschepuffs und aufklappbare Plüschhocker aus den Siebzigern, alte, ausgeweidete Radioapparate, die zu Mini-Guckkastenbühnen für die einzelnen Schauplätze der Schöpfungsgeschichte werden. Dazwischen allerlei Plastikspielzeug und der göttliche Puppenspieler selbst.

Lennart Morgenstern steckt in Glitzerjacke, Lederhosen, Leoparden-Absatzschuhen und Afroperücke – ein Hippie auf Schöpfertrip. Im Hintergrund perspektivisch wirkende Prospekte mit Wegen in die knallbunte, computeranimierte Zukunft oder doch einen virtuellen Irrgarten? Morgenstern reißt Geschichten an, und das alles im Schnelldurchlauf.

Ein Stegosaurus erzählt die Theorie von der Ursuppe, Kometeneinschlag, Entwicklung des Lebens aus dem Wasser bis hin zu den Säugetieren. Dann aber schaltet sich das „Nichts“ ein, eine seltsames Zwitterwesen aus Kasper, Babypuppe und Teddybär, das die göttliche Schöpfung erzählt und zwischendurch immer wieder kommentiert. Morgenstern hantiert mit am Anfang lehmartig aussehendem Material, das sich als Holzgliederfiguren entpuppt und hernach zum Vergnügen des Publikums durch Überstülpen einer Tröte zu Playmobilfiguren „veredelt“ wird.

Griesbach verwebt geschickt die Mythologien miteinander, bringt Lilith ins Spiel, die erste Frau Adams, die wenig später durch die angepasstere Eva ausgetauscht wird: „Eine Frau, die dir folgt? Gut, da bleibt nur die Rippe!“. Was folgt, sind urgeschichtliche Verfehlungsgeschichten, angezettelt von der verführerischen Schlange „Lutz“, einem Mischwesen aus Babypuppe und Dackel.

Der verhängnisvolle Apfel nebst Sündenfall ist genauso Thema wie Sodom und Gomorrha oder der Brudermord der ersten Kinder der Bibelgeschichte: Kain und Abel. Verblüffende Parallelen zur Gegenwart, ohne explizit angesprochen zu werden, wenn Kain den ob seiner Klugheit vermeintlich mehr von Gott geliebten Bruder erschlägt.

Spielmacher Morgenstern navigiert virtuos zwischen den Geschichten, schlüpft in alle Rollen – besonders köstlich der Playmobiltrupp auf der Suche nach dem gelobten Land, der sich sehr sinnreich eine asiatische Winkekatze – in Japan Glücksbringer in allen geschäftlichen Dingen – als neues „Goldenes Kalb“ erwählt, während Moses auf dem Berg Sinai die zehn Gebote empfängt.

Vielleicht ist es unmöglich, eine solch komplexe Geschichte in einer Stunde zu erzählen, zumindest wirkte das Ende ein wenig abrupt: Nach dem Anzitieren des Goethe‘schen Zauberlehrlings skizziert ein Danceroboter die mögliche Zukunft der Menschheit. „Die Legende vom Anfang“ ist für Zuschauer ab neun Jahren konzipiert – eine kleine Einführung in die wichtigsten Geschichten des Alten Testaments scheint aber zumindest für nicht bibelfeste Kinder angeraten, um den geschickt verästelten Geschichten auf der kleinen Bühne des Puppentheaters im Detail folgen zu können.