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Theater Langes Warten auf Godot in Magdeburg

Magdeburg kann sich endlich auf „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett freuen. Die Premiere war nun im Studio des Schauspielhauses zu sehen.

Von Gisela Begrich 10.12.2018, 14:30

Magdeburg l Die Szene dominieren menschliche Schädel, ein großer Berg und ein kleiner. Alle ganz in Rot, als wolle das Blut nicht weichen. Quer durch den ganzen Raum. An den Seiten sitzen die Zuschauer, deren Assoziationen fließen: Mittelalterliches Schädelhaus, Richtstätte oder Sinnbild für jedes menschliche Schicksal: Alle müssen wir einmal sterben. Dumm gelaufen.

Für Wladimir und Estragon sind die Schädelhaufen der gewöhnliche Ort, auf Godot zu warten. Aber wenn Wladimir seine in den Unterarm eingebrannte Nummer zeigt, auch wenn sich Beckett immer wieder Verortungen verbat, erweckt dies in der Kulisse von Sophie Lenglachner Erinnerungen an faschistische Vernichtungslager. Aber im Furor des Terrors des Menschen gegen seinesgleichen ist 65 Jahre später auch der Völkermord in Ruanda präsent. Ein Beispiel nur nach dem Holocaust.

Daniel Klausner (Estragon) und Zlatko Matar (Wladimir) spielen ihre Figuren mit einer gewissen Lässigkeit und auch mit (verbaler) Nachlässigkeit und unterlaufen damit die Potenz des Textes, Pointen zu sprechen. Stattdessen bieten sie Slapstick und Schnickschnack, und lassen ihre Befindlichkeiten gar ins Publikum schwappen. Das bringt periphere Lacher, die im Laufe des Abends verebben.

Interpretieren kann man das einerseits als wenig gekonnt, andererseits als ein Angebot: Sie warten nicht mehr wirklich, sie haben bloße Angst vor dem Tod. Der Tod ist die Pest von heute. Auslöschung. Wo es doch so schön ist, hier zu bleiben. Selbst mit Hartz IV.

Das unterstützen die Kostüme (auch Lenglachner), die eine wiederkehrende Gewandung seit dem 15. Jahrhundert zitieren, wo man anfängt, nicht mehr wirklich an ein Jenseits zu glauben.

Das ist, wenn es so ist, eine kühne Wendung. Regisseur Stas Zhyrkov bemüht sich überhaupt, dem Stück zeitgenössische Facetten zu verpassen.

Ganz anders treten Pozzo und Lucky auf. Null Lässigkeit. Herr und Knecht geben ästhetisch durchgestylte Kunstfiguren. Attitüden von Macht und Unterwerfung. Weit weg vom normalen Bürger.

Burkhard Wolf als Pozzo verkörpert eine gespaltene Persönlichkeit, die besondere Schrecknisse einen Schädel in seiner Hand sagen lässt, ein Puppenspieler seiner selbst. Das bin ich nicht, und war ich nicht. Das erfordert mein Amt mir ab. Björn Jacobsen als Lucky irrlichtert im falschen Körper, und das unter Druck, und legt einen famosen Monolog hin, der aus jeglichem Inhalt eine bloße Formalie macht, dass es nur so fasziniert.

Nach der Pause und 100 Jahre und einen Tag später – Verwandlung. Pozzo erblindet, Lucky sein Betreuer. Beide in Maßanzügen.

Wer Herr ist und wer Knecht entscheidet eben das Schicksal. Pozzo redet ins Mikrofon. Gerichtshof in Nürnberg oder in Den Haag. Estragon und Wladimir sind genauso im Abseits wie bislang und leiden unter alten dummen Ängsten. Bürger dritten Grades eben, die auf Godot warten, während Lucky den Pozzo raus schleift. Aus der Verantwortung? Und für guten Lohn? Beckett strebte danach, Typen zu schaffen, die lebenslang verurteilt sind, in der eigenen Komödie zu agieren, Leben als Haft. O-Ton Autor: Himmel und Hölle sind immer wir selber.

Regisseur Stas Zhyrkov findet keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Wie auch! Aber er nutzt die Chance mit seinem Team, die Zuschauer voller Gedanken nach Hause zu schicken.

Alle Schauspieler sind gut und die Aufführung ist sehr gut. Also: Was lange währt, wird gut.