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Theater Magdeburg Eklig und albern zugleich

Am Theater Magdeburg hatte "König Ubu" Premiere. Der Zuschauer darf sich ekeln und amüsieren. Eine durchgeknalle Mischung.

Von Claudia Klupsch 16.10.2016, 23:01

Magdeburg l Fäkalsprache, absurde Szenen - damit geizt die aktuelle Inszenierung von König Ubu am Magdeburger Theater wahrlich nicht. „Schreiße!“ wird gefühlt 100mal gesagt, gar skandiert. Das Wort, das ohne „r“ gar im Duden steht, ist jedoch nur ein Tüpfelchen. Die Inszenierung kredenzt handfeste Exkremente (von der Requiste gefertigt). Klostrippen und Klos gehören zum Spiel. „Schreiße“ steht sinnbildlich über allem geschrieben, denn so lässt sich trefflich charakterisieren, was aktuelle Diktatoren anrichten.

Das Stück strotzt vor Anspielungen auf das Treiben der Erdogans und Orbans, der Kaczynskis und Putins dieser Welt. Völlig überdrehtes Spiel, bis zum Anschlag karrikierte Figuren in schrillsten Kostümen irritieren und amüsieren, ekeln an und bringen zum Lachen.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstand „König Ubu“ in Frankreich. Ursprünglich eine Schüler-Posse, brachte es der junge Literat Alfred Jarry auf die Pariser Theaterbühne. Absurde Szenen spielten sich vor den Augen der vornehmen Zuschauer ab. Skandal!

Der Magdeburger Vater Ubu lässt sich von seiner Frau trietzen, König von Polen sein zu wollen. Thomas Schneider gibt den Anti-Helden, dicklich, klein, unscheinbar, mit von Kleckerflecken besudeltem Unterhemd, schlimmste Gossen-Sprache. Susi Wirth zeigt seine Gattin als ältliches Teufelsweib in roten Nutten-Stiefeln und ausladenen Hüften. Mit Reizen will sie nicht geizen. Ein kongeniales Paar verkörpert die beiden Figuren, den Tumben, Feigen und doch so grausamen Primitivling und die durchtriebene Intrigantin, deren polnischer Akzent alles verwitzelt, was sie Niederträchtiges sagt und tut. Vater und Mutter Ubu sind unterste Schublade, doch sie wollen nach oben, murksen mit Hilfe von Spießgesellen den alten König ab und hieven sich auf den Thron.

Regisseur Woron lässt auf der von ihm selbst gestalteten Bühne vorführen, was geschieht, wenn solche Ubus die Machtstrippen ziehen. Das Volk wird manipuliert und brüllt „Es lebe König Ubu!“, um später verdoppelte Steuern zahlen zu dürfen. Die vom Despoten abgenommene Parade demonstriert eine wahnsinnige Welt. Die Kostüme von Hanna Sibilski nehmen Uniformen in ulkigster Manier auf die Schippe. Sie sind auch eine Parade von dem, was Fundus und Schneiderwerkstatt hergeben. Bunt, albern, skurril. Das Ensemble trötet am neuen Herrscher vorbei, Sound-Designer Torsten Knoll liefert live Geräusche und Musik, gibt mit seinem Können der Inszenierung einen besonderen Kick. Woron schafft auf der Bühne eine opulente Bilderflut voller Ideen. Aus toilettenförmigen Löchern samt Klodeckel tauchen Köpfe auf und unter, der König erklettert ein Turm-Pferd, beim Meucheln von Adel und Staatsbeamten kommen Puppen zum Einsatz. In dieser Inszenierung tobt sich Kreativität auf allen Ebenen aus.

„König Ubu“ bringt zum Lachen, ja. Doch die düsteren Abgründe, die komödiantisch zugespitzt aufs Korn genommen werden, lassen es im Halse stecken bleiben - spätestens als König Ubu vor seinen Untertanen Freibier für denjenigen verspricht, der den größten „patriotischen Haufen“ setzt. Je länger die Ansprache ans Volk dauert, um so goebbelsartiger werden Stimme und Sprache. Gruselig.

Das Ensemble agiert mit einer professionellen Ernsthaftigkeit und Konzentriertheit. Jeder lebt mit vollem Körpereinsatz seine närrischen Figuren, wechselt im turbulenten Geschehen scheinbar mühelos in viele Rollen. In haarsträubende Kostüme gepackt (Federboas auf dem Kopfe oder mit angeklebten Mini-Schniepeln) und irrsinnige Sätze sprechend, bringen Zlatko Maltar, Michaela Winterstein, Marian Kindermann, Raphael Kübler, Alexander von Säbel und Burkhard Wolf ihr Spiel durch. Letztgenannter amüsiert insbesondere als Zar respektive Putin.

Das Publikum bekommt zweieinhalb Stunden verrückte Groteske. Einen Ticken zu viel des Guten ist, wenn etwa ein Bär auch noch die Showbühne betritt oder Schlagersänger Kot und Nutella in einem Lied-Refrain besingen.

Die Inszenierung insgesamt ist stark und frech. Die gesellschaftskritische Aussage des Stücks ist zeitlos, doch sie wirkt genau jetzt.