1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Liebe für Experimente

Theater Magdeburg Liebe für Experimente

Im Oktober startet das Magdeburger Schauspielhaus mit fünf Premieren in die Spielzeit. Grit Warnat hat mit der Direktorin gesprochen.

21.09.2016, 23:01

Frau Crombholz, „Spur der Steine“ und „Kruso“ waren zwei vielbeachtete Uraufführungen, mit denen Sie in die beiden vergangenen Spielzeiten gestartet sind. Sie planen wieder eine Uraufführung zum Spielzeitbeginn. Wird „Die Stadt der Fahrraddiebe“ weniger spektakulär?

Cornelia Crombholz: Der Regisseur entwickelt das Stück gemeinsam mit dem Ensemble und schreibt die Texte. Es gibt also kein Buch vorab, das schon für Furore gesorgt hat. Aber für die Stadt wird es hoffentlich trotzdem spektakulär, weil es mit einem wichtigen Thema Magdeburgs zu tun hat.

Sie meinen den Fahrraddiebstahl?

Magdeburg liegt auf Platz zwei der deutschlandweiten Statistik. Aber in dem Stück geht es nicht nur um gestohlene Fahrräder. Sie sind vielmehr Aufhänger für Geschichten von Menschen innerhalb der Stadt.

Was erwartet den Besucher?

Wir alle kennen den Abend noch nicht, weil es ein Projekt ist, das erst entstehen muss. Das Team geht gemeinsam mit dem Ensemble auf Abenteuerreise und wird ganz verschiedene Leute treffen, befragen und Stimmungen einfangen. Vieles wird sich erst ergeben, es ist ja eine Stückentwicklung. Fest aber steht, dass Magdeburg die Hauptrolle spielt.

Die letzten beiden Eröffnungsinszenierungen haben Sie selbst übernommen, jetzt gaben Sie die Regie-Arbeit ab. Warum?

Die Eröffnung soll nicht auf mich gebucht sein. Ich möchte mich diese Spielzeit mal auf fertig geschriebenen Text konzentrieren. Außerdem freue ich mich auf Hakan Savas Mican. Er ist Hausregisseur am Maxim-Gorki-Theater Berlin. Mit ihm wollten wir in der vergangenen Spielzeit schon zusammenarbeiten.

Eine Uraufführung zum Start war Ihnen aber wichtig?

Ja. Am Anfang soll man sich überraschen lassen. Ich will keinen Ah-ja-das-kenn-ich-Impuls haben. Ich will, dass jemand sagt: Das Stück kenne ich noch nicht, aber es hört sich interessant an, ich will es unbedingt sehen. Diesem Gedanken bleiben wir auch in der neuen Spielzeit treu.

Ist es nicht mutig, mit recht unbekannten Stücken eine Spielzeit zu bestreiten?

Ich denke, das Publikum hat in den vergangenen zwei Jahren Vertrauen zu unserer Arbeit gefasst. Ich wünsche mir sehr, dass man uns jetzt vertraut, dass wir wieder gute Stücke ausgesucht haben, auch wenn sie weniger bekannt sind.

Sie hatten angekündigt, dass sich das Schauspielhaus in politisch instabilen Zeiten auf Machtgefüge, Wege an die Macht, Machtmissbrauch und Ohnmacht konzentrieren will.

Es verändert sich vieles in unserer Welt, und wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Ich habe das als Chance formuliert, nicht als Schrecken, weil ich finde, dass in der Krise immer eine Chance liegt. Theater sollte diese Wirklichkeit spiegeln und sie neu lesen. Deshalb haben wir Stücke wie „George Kaplan“ und „Foxfinder“ auf den Spielplan gesetzt.

Worauf freuen Sie sich besonders?

Ich bin sehr gespannt auf „Die Stadt der Fahrraddiebe“, weil ich neugierig bin, was die Kollegen in der Stadt herausfinden. Neugierig bin ich auf das expressionistische polnische Bildertheater bei „König Ubu“ und die Umsetzung von „George Kaplan“, aber auch auf Vlad Troitsky. Und ich freue mich auf meine eigenen beiden Inszenierungen.

Eine davon ist „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ von Peter Handke. Es ist ein Stück ohne Sprache. Wieder etwas Neues.

In Magdeburg betreten wir damit Neuland. Sie wissen: Ich liebe Experimente. Handkes Stück erzählt anhand der Poesie der Körper und Gesten, von Menschen, die sich auf einem Platz in Europa begegnen. Und davon, den Blick auf das Besondere, Politische und Verrückte im Alltag zu richten, sinnliches „Straßentheater“. Unser Ensemble ist sehr spiel- und erfindungsfreudig. Deshalb passt das Stück sehr gut an dieses Haus.

Gastregisseure sind der Pole Andrzej Woron und der Ukrainer Vlad Troitsky. Sie haben mit dem Ukraine-Festival schon Richtung Osteuropa geschaut. Wollen Sie diese Zusammenarbeit ausbauen?

Wir wollen nicht nur den Binnenblick auf Dinge haben, wir wollen uns inspirieren lassen von Menschen aus anderen Ländern, aus anderen Kulturen, die noch einmal eine andere Wahrnehmung unserer Wirklichkeit haben.

Das Ukraine-Festival war ein guter Auftakt. Wir setzen auf diesen Kulturaustausch, haben auch Kontakte in andere Länder, zum Beispiel nach Frankreich, um Regisseure zu finden. Vlad Troitsky ist einer der aufregendsten Regisseure in der Ukraine. Er war auf Gastspielen in der ganzen Welt und wird jetzt erstmals an einem deutschen Theater mit Schauspielern arbeiten.

Ihre dritte Spielzeit beginnt in Magdeburg. Ich nehme an, Sie sind rückblickend mit den Auslastungszahlen zufrieden?

Sie zeigen, dass wir mit den Stücken, den Regisseuren, den unterschiedlichen Handschriften nicht so verkehrt unterwegs sind. Wir sind und bleiben ein Haus, das sich dem sinnlich politischen Theater verschrieben hat, das fordernd und unterhaltend bleibende, gemeinsam gemachte Momente schaffen kann. Wenn das angenommen wird, ja, dann bin ich zufrieden.