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Theater Magdeburg Vom Wahnsinn der Besinnlichkeit

Die Komödie „Schöne Bescherungen“ von Alan Ayckbourn begeistert am Magdeburger Theater mit Witz.

Von Gisela Begrich 12.12.2016, 05:37

Magdeburg l Weihnachten gilt als Fest der Familie, der Besinnlichkeit und ist Anlass, Verwandte und Freunde einzuladen, um mit ihnen gemeinsam die besonders schönen Momente im Leben zu genießen. Doch viele Menschen mussten schon erfahren, dass sich diese löbliche Absicht ins Gegenteil verkehrt. Und genau das geschieht im Haus von Belinda und Neville samt ihren sieben Gästen.

Der erste Blick auf die Bühne verheißt eine gewisse Idylle. Der Zuschauer schaut auf ein Eigenheim mit zwei Etagen mit vielen Zimmern, das gehobenen Mittelstand signalisiert (Ausstattung Jan Hendrik Neidert und Lorena Díaz Stephens). In einem Raum gibt Bernard Geschenken noch letzten Schliff, in der Küche kocht Phyllis. Dann fährt das Haus, ein schöner Effekt, in zwei Teile auseinander und gibt das Kampfareal samt großem Weihnachtsbaum frei. Das Katastrophenszenario kann beginnen.

Belinda fühlt, dass sie für ihren Mann Neville an Attraktivität verloren hat, sie begehrt den Schriftsteller Clive, den ihre Schwester Rachel zum Fest eingeladen hat, weil sie ihn liebt. Der Arzt Bernard nervt alle, weil er wie üblich ein Puppenspiel für die Kinder aufführen will. Harvey, der Onkel von Neville, ein ehemaliger Wachmann, verstört durch seine Grobheit. Ein Konflikt jagt den anderen. Nach und nach eskaliert alles.

Regisseurin Caroline Stolz treibt Ayckbourns Komödie in Richtung Comedy. Sie lässt die Geschichte nicht geruhsam anlaufen, um sie dann bis zum Höhepunkt zu steigern, sondern fährt die Inszenierung mit einem generell hohen Tempo, Atempausen bilden lediglich einige der Zweierszenen. Der Erregungszustand der Figuren befindet sich, abgesehen von kleinen Auszeiten, ständig bei mindestens acht auf einer Skala von eins bis zehn. Wie es sich für Boulevard gehört, erfindet das Team eine Fülle von Gags und bietet als besonderes Highlight mehrere Vorgänge im Zeitraffer, wofür die Darsteller Szenenapplaus ernten.

Das Vergnügen geht aber auch mit Verlusten einher. Dem Zuschauer wird eine Art Multitasking abverlangt: mehrere Gags passieren gleichzeitig oder während zwischen zwei Personen ein Konflikt abgehandelt wird. Schade, wenn man einen davon übersieht oder gar den Dialog nicht hört. Und in den vielen Turbulenzen der Aufführung bleibt auch häufig sprachlicher Witz des Autors auf der Strecke.

Wunderbare vergnügliche Szenen gelingen, wenn Michaela Winterstein als Phyllis den Schriftsteller Clive (Amadeus Köhli) umgarnt, oder Maike Schroeter als Rachel mit schöner Behutsamkeit versucht, Clive ihre Gefühle zu offenbaren. Oder wenn Nadine Nollau als Belinda Clive verführt. Köhli agiert in allen Szenen zurückhaltend souverän als ein eher Betroffener.

Raphael Kübler als Bernard bewältigt eine der schönsten Rollen im Stück mit großer Akkuratesse. Und als er eine (urkomische) Probe als Puppenspieler erzwingt, erhält auch Marie Ulbricht als Pattie Raum, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Zlatko Maltar als Hausherr und Timo Hasenpflug als Eddie tragen als professionelle Teamplayer zum Erfolg des Abends bei.

Burkhard Wolf als Onkel Harvey, dessen profan-derbe Einfalt er durchgängig verteidigt, bekommt seinen großen Auftritt, wenn er den Schriftsteller Clive als vermutlichen Einbrecher erschießt. Und da erfährt der Text von Alan Ayckbourn in Magdeburg nebenher eine interessante Interpretation.

Im Original ist Harveys Handlung vermutlich als Diskreditierung einer kleinbürgerlichen Mittelklasse, wo Künstler wenig gelten, gemeint. Auf so einen schießt man schon mal. Aber den Clive in Magdeburg spielt Amadeus Köhli, ein farbiger Schauspieler. Vielleicht zu viel in eine Komödie hinein interpretiert!? Zeitgemäß allemal.

Nächste Aufführungen:

23. Dezember, 19.30 Uhr; 25. Dezember, 19.30 Uhr; 31. Dezember, 16 Uhr; 31. Dezember 20 Uhr

14. Januar 2017, 19.30 Uhr; 27. Januar 2017, 19. 30 Uhr

Schauspielhaus Magdeburg, Theaterkasse: 0391/ 40 490 490