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Theater Schmerz einer geschundenen Nation

„Warum überlebt Michailo Gurman nicht?“ von Regisseur Stas Zhyrkov wurde in Magdeburg uraufgeführt.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 14.04.2017, 23:01

Magdeburg l Etwas von dieser urwüchsigen künstlerischen Kraft einzufangen und in das organisierte Schauspielgeschehen des Magdeburger Theaterbetriebs einzubinden, das ist das Anliegen des 2016 begonnenen Festivals „Wilder Osten – Ereignis Ukraine“. Mit der Uraufführung „Warum überlebt Michailo Gurman nicht?“ in der Regie des ukrainischen Regisseurs Stas Zhyrkov wurde nach viel beachteten Premieren in diesem Jahr ein weiteres Puzzlestück hinzugefügt.

Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz hat sich bei ihren künstlerischen Entdeckungstouren in der Ukraine von dieser urwüchsigen Kraft anstecken lassen und wurde zur Initiatorin des Festivals. Das Theater Magdeburg und das Golden Gate Theatre Kiew gaben das Werk „Warum überlebt Michailo Gurman nicht?“ bei dem über die Ukraine hinaus bekannten Autor Pavlo Arie in Auftrag.

Die Geschichte verlangt dem Zuschauer einiges ab, vor allem, sich vorbehaltlos auf eine nur wenig bekannte Gefühlswelt einzulassen, die stark von der russischen, besser wohl der ukrainischen Seele geprägt ist. Sie spielt in Deutschland und in der Ukraine und ist auf beiden Seiten nicht vor klischeehaften Bildern gefeit.

Der deutsche Auto-Werkstattbesitzer Nikolaus Müller, mit großem schauspielerischen und körperlichen Einsatz von Timo Hastenpflug gespielt, hat sich eine ukrainische Frau für 2000 Euro „gekauft“. Diese Anna, verkörpert von der ukrainischen Schauspielerin Kateryna Vyshneva, vermag höchst wirkungsvoll die Ambivalenz zwischen der Verletztheit, „jemandem zu gehören“, Zuneigung zu ihrem deutschen Mann, Disziplin und innerer Stärke sowie einer geheimnisvollen Traurigkeit aufzuzeigen.

Doch ihre wahre Liebe gehört Michailo Gurman, ihrem ukrainischen Verlobten, der mit einem miesen Trick ihres Vaters erst zum Militär eingezogen und dann auch noch mit einem gefälschten Brief für tot erklärt wird. Nur deshalb hat sich Anna auf die Heirat eingelassen, doch Michailo Gurman ist nicht tot, sondern sucht und findet seine Verlobte in Deutschland.

Dieser Michailo, gespielt von Mykola Bereza, ist eine echte Entdeckung. Er, der nach eigenen Worten durch die Hölle gegangen ist, in Gefangenschaft leiden musste und nur am Leben blieb, weil er er an seine Anna dachte, findet diese als „deutsche Frau“ in den Armen eines anderen.

Mykola Bereza verkörpert in dieser Rolle den ganzen Schmerz einer geschundenen Nation. Seine Texte – das Stück ist zwei-, stellenweise mit Englisch gar dreisprachig, und wird über eine allerdings nur schwer lesbare Schrifttafel ins Deutsche übertragen – sind die stärksten Momente in diesem Stück.

Die Angst, nicht zu wissen, welches Projektil morgen oder übermorgen das eigene Heim durchschlagen wird, die Sehnsucht, einfach wieder ein normales Leben zu führen, rückt die Grausamkeit der militärischen Gewalt, so nah an den deutschen Grenzen, eindrucksvoll zurück in das Bewusstsein.Diese ergreifenden Momente werden aber durch eine Vielzahl weiterer Ebenen überlagert, so dass der Handlungsstrang zerfasert, die dadurch entstehenden Längen durch kaum motivierte Aktionsdramatik ausgeglichen werden. So ist der Werkstattbesitzer Müller mit einem Türken befreundet, der ebenfalls eine Autowerkstatt besitzt. Die beiden geraten in Streit. Der türkische Werkstattbesitzer wird erschossen, woraufhin Müller inhaftiert wird.

Es stellt sich heraus, dass der ukrainische Verlobte von Anna offenbar seine Finger im Spiel hatte, um den Deutschen, der ihm seine große Liebe „abgekauft“ hat, aus dem Weg zu räumen. Doch Anna will mit beiden nichts mehr zu tun haben, wodurch Michailo Gurman, der schon einmal für tot erklärt wurde, nun ein zweites Mal gefühlt stirbt.

Spätestens hier verliert sich die Geschichte in Spekulationen, denn der Zuschauer ist kaum noch in der Lage, die Handlungsstränge nachzuvollziehen. Das ist um so bedauerlicher, weil sowohl die hervorragenden schauspielerischen Leistungen als auch die innere Dramatik des Stücks durch die Überfrachtung geschmälert werden. Es dürfte spannend werden, wie das ukrainische Publikum diese es unmittelbar berührende Problematik vor dem deutschen Hintergrund aufnehmen wird.

Nach dieser Uraufführung wird die Inszenierung zusammen mit weiteren Produktionen des Schauspielhauses Magdeburg als Gastspiel Teil des ukrainischen Theaterfestivals „Treffpunkt Saporischschja“ am 28. und 29. April in der ukrainischen Partnerstadt Magdeburgs sein.