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Theater Stendal Ganz dicht am Publikum

Premiere der „Dreigroschenoper“ im Theater der Altmark. Die Inszenierung von Sarah Kohrs begeisterte das Publikum.

Von Birgit Tyllack 15.11.2015, 23:01

Stendal l „Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie ‚Dreigroschenoper‘.“ (Bertolt Brecht)

Sicherlich kostet die Theaterkarte mehr als drei Groschen, doch prunkvoll sieht die Bühne im Großen Haus wahrlich aus. Wie in Varieté-Theatern ziert ein Lichtschriftzug den Halbkreis über der Bühne, ein lichtumsäumter Steg führt durch das Orchester auf einen weiteren Steg, ganz dicht ans Publikum heran.

Insgesamt ist die Ausstattung von Mark Späth wunderbar: farbenfrohe Kostüme, das Bühnenbild mal puristisch, mal detailreich.

Die „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht (Musik von Kurt Weill) ist hierzulande gut bekannt. Seit ihrer Uraufführung im Jahre 1928 ist sie unzählige Male auf deutschen Bühnen aufgeführt worden, einzelne Lieder wurden gar Welthits.

Das „Theaterstück mit Musik“ – wie der Untertitel besagt – handelt in London, im einst verruchten Viertel Soho, und beschreibt den Konkurrenzkampf zwischen einem Bettelimperium und einer Verbrecherbande. Kopf des Ersteren ist Jonathan Peachum, Chef des anderen Macheath. Als Macheath heimlich Peachums Tochter Polly heiratet, setzt Peachum alles daran, seinen Konkurrenten am Galgen zu sehen.

„Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ singen Macheath und Spelunken-Jenny in einem Lied. Und sie haben Recht. Hier ist jeder käuflich und bestechlich. Wahre Freundschaft und Liebe existieren nicht. Selbst Polly verrät am Ende ihren Geliebten. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen, Gerechtigkeit gibt es auch nicht.

Das Finale setzt dem Ganzen schließlich die zynische Krone auf: Macheath wird in letzter Minute begnadet. Und in den Adelsstand erhoben!

Regisseurin Sarah Kohrs schafft es, dieses Werk mit nur 13 Darstellern zu besetzen. Schnelle Kostümwechsel machen es möglich. Die Rollen sind stimmig besetzt. Thomas Weber ist Macheath und strahlt in dieser Rolle eine herrliche Testosteron-geschwängerte Aggressivität aus. Frank Siebers passt haargenau in die Rolle des Peachum: vordergründig bürgerlich-brav und dennoch eine stahlharte Kälte ausstrahlend. Linda Lienhard gibt die Polly zunächst mädchenhaft verliebt, später geschäftstüchtig und eher gleichgültig. Brown, der Polizeichef Londons und alter Freund von Macheath, wird von Michael Putschli gespielt. Sehr glaubwürdig gibt er den von schlechtem Gewissen geplagten Freund auf der einen Seite und den kühl berechnenden, bestechlichen Cop auf der anderen Seite.

Annett Siegmund gehört zu den Schauspielern, die mehrere Rollen ausfüllen müssen. In der Rolle der Lucy glänzt sie besonders. In ein Kostüm à la Shirley Temple gesteckt, bringt sie Komik ins Geschehen. Ihr Gesangsduell mit Lienhard alias Polly ist ebenfalls unglaublich witzig.

In weiteren Rollen: Angelika Hofstetter als Pollys neurotische, stets alkoholisierte Mutter, Ruth Macke (eine großartige Sängerin!) als Spelunken-Jenny und Michael Magel, Andreas Müller, Sascha Werginz und Nils Malten in wechselnden Rollen.

Was wäre die „Dreigroschenoper“ ohne die Musik von Kurt Weill?

Kohrs und Jakob Brenner, musikalischer Leiter, geben den Liedern genau den Raum, den sie brauchen. Oft wird dicht am Publikum auf dem Steg gesungen, die Texte sind gut verständlich. Die Sänger singen kraftvoll und ausdrucksstark, in recht hohen Tonlagen, manchmal beinahe – aber nur beinahe! – schrill. Unglaublich eindrucksvoll. So müssen Weill-Songs sein! Ohne „Versüßlichung“. Ganz große Klasse.

Begleitet werden die Sänger einfühlsam von den Brandenburger Symphonikern in relativ kleiner Besetzung. Dirigent ist Jakob Brenner.

Die Inszenierung von Sarah Kohrs ist von vorn bis hinten, von der Ausstattung über die Darsteller bis hin zur Musik, gelungen. Kleine Ausrutscher, die wahrscheinlich zur Auflockerung gedacht sind, hätten nicht sein müssen. Der Auftritt eines Schauspielers mit der Maske der Queen oder der Auftritt des Priesters als kiffender Reggae-Fan zum Beispiel. Zum Glück haben diese Momente im allgemeinen gut inszenierten Geschehen kein großes Gewicht.

Über drei Stunden dauert die „Dreigroschenoper“. Man merkt es kaum. Das Premierenpublikum bedankte sich mit langanhaltendem Applaus.

Nächste Aufführungen: 4. Dezember, 19.30 Uhr, und 13. Dezember, 18 Uhr, Großes Haus des Theaters der Altmark.