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Theater Wenn die Zeit stehen bleibt

300 Jahre lang Kopfschmerzen. Die Heldin der neuen Produktion des Theaters an der Angel trägt ein hartes Schicksal.

Von Claudia Klupsch 15.07.2016, 23:01

Magdeburg l Ein Stück zum Thema Zeit, Vergängnis und Unsterblichkeit ist versprochen. In Garten und im Hof der Theatervilla wird bestens darauf eingestimmt. Das Publikum blickt auf viele Uhren und entziffert solche Sprüche wie etwa: „Zeit macht nur vor dem Teufel halt“. Im Folgenden vergehen drei Stunden theatralisch verbrachte Zeit. Komisches wechselt sich mit Tragischem ab, Denkanstöße kommen vor, zuweilen blitzt Vergnügliches auf, aber auch zähe Minuten gähnenden Zeitverstrichs sind zu überstehen.

Ein Drittel der Theaterzeit nehmen „Vorspiele“ vor Beginn des Stücks ein. Das Publikum hat fünf Stationen zu absolvieren, an denen es die fünf Ensemble-Mitglieder einzeln erlebt. Ines Lacroix „machteborjert“ über die „abjeloofene Zeit“. Matthias Engel als Pharao hat Tränen um seine Liebe vergossen und nebenbei die Wasseruhr erfunden. Daniil Shchapov als zu spät kommender Firmenmitarbeiter überholt mit dem Fahrstuhl die Zeit, Veronika Thieme ist als Angestellte der „Zeitsparkasse“ darauf aus, ihren Kunden Zeitsparkonten zu verkloppen und Wiebke Schulz als französisches Mädchen will einfach nur spielen (lassen).

Es sind nicht mehr als fünf nette Einstiege, denn weder Spiel, Texte noch Figuren bieten Origninelles oder Tiefsinniges. Einzig die Ausstattung erfreut, wie die uhrenüberflutete Bude und die heimelige Orangerie.

Tiefgang verspricht das Stück im Saal. Autorin Therese Thomaschke hat sich den Text „Die Sache Makropulos“ des tschechischen Schriftstellers Karel Capek vorgenommen und an die Angler-Villa angepasst. Die Story: Ein Erbschaftsstreit um die Immobilie schwelt. Ein Enkel eines unehelichen Sohns des verstorbenen Opas meldet Ansprüche an und beißt beim unrechtmäßigen Erbe auf Granit. Eine geheimnisvolle Dame taucht auf, weiß erstaunliche Details und kennt das Versteck des Testaments. Versteckt ist auch die alchimistische Rezeptur für ein Mittel, das Leben verlängert. Die Dame hat es schon einmal konsumiert und es auf 300 Jahre Lebenszeit gebracht. Nun will sie nachtanken.

Der verworrenen surrealen Geschichte zu folgen, ist nicht einfach. Auch für die Schauspieler ist es kein einfaches Spiel. Die Damen rotieren in Rollen- und Kostümwechsel. Als schrill-aufgedrehte Journalistinnen haben Ines Lacroix, Veronika Thieme und Wiebke Schulz ihren gemeinsamen komödiantischen Auftritt. Ines Lacroix spielt all ihre schauspielerische Stärke als die 300-Jährige aus. Stimme und Habitus verleihen der Figur Erhabenheit und all ihre Tragik. Wer möchte schon im Leben bleiben? 300 Jahre lang? Hier ist er, der ersehnte Tiefgang. Soll der Mensch länger leben, als es die Natur vorsieht? „In mir ist das Leben stehen geblieben“, beklagt die Diva Einsamkeit, Leere und Verdruss. Das Schlimmste für den Menschen sei Langeweile, heißt es weiter. Besagte Rezeptur zur Daseinsverlängerung braucht daher keiner.

Komödiantisch dürfen sich Matthias Engel und Daniil Shchapov ausleben. Einen Tick wird zuviel auf Ulk gesetzt. Warum die Fliegerkappe, warum die Wasserpistole, warum der gar nicht ulkige Erklärbär? Dem Stück unter Regie von Pierre Schäfer hätte gut getan, auf feingründigen Humor und Wortwitz in diesem gedankenschwangeren Text zu setzen oder sich vielleicht klar für eine „Thriller“-Inszenierung zu entscheiden.

Das Stück passt in die Angler-Villa und wird das Publikum in den bis in den September hinein ausverkauften Vorstellungen gut unterhalten. Die Premierenzuschauer dankten mit herzlichem Applaus.

Mehr Infos im Netz: www.theater-an-der-angel.de