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Zwickmühle Aus Siggi wird Martin

Ein kabarettistischer Rundumschlag zum Thema Wahlen. In der „Magdeburger Zwickmühle“ feiert „Da ist was im Anzug“ Premiere.

Von Klaus-Peter Voigt 10.03.2017, 23:01

Magdeburg l Alle bekommen ihr Fett weg, egal welche Partei, welche politische Strömung. Die drei Akteure Marion Bach, Hans-Günther Pölitz und Heike Ronniger haben sich aufgemacht, die heile Wahlwelt zu erklären, zu kommentieren. Vom ersten Moment an drehen sie auf, fordern den Zuschauer gnadenlos ohne den Spaß und die Unterhaltung auch nur einen Moment lang zu vernachlässigen. Nach der Melodie von „Weihnachten, Weihnachten steht vor der Tür“ rücken alle drei die Wahlschlachten dieses Jahres in den Blick. Und dass Siggi seit kurzem Martin heißt, ist nur ein Punkt in ihrer Analyse.

Pölitz übernimmt an vielen Stellen die Rolle eines wandelnden Lexikons. Sein Ausflug in die Geschichte, zu einer der ersten ausführlich dokumentierten Wahlen, bringt Historie unterhaltsam näher. Das Volk hatte im Jahr 33 nach Christi Geburt die Entscheidung mitzutreffen, ob Barabbas oder Jesus ans Kreuz geschlagen werden solle. Der Kabarettist geht noch weiter. Wahlen müssten heutzutage in geschlossenen Räumen stattfinden. Warum? Ganz einfach: Glücksspiele unter freiem Himmel sind verboten.

Zum Kabinettstückchen wird der Auftritt von Pölitz als Exhibitionist. Im schwarzen Mantel entblößt er sich immer wieder mit dem Rücken zum Publikum, zeigt den mitspielenden Damen permanent seinen „August“.

Die Spannung steigt bis zur Aufklärung des Tuns. Unter dem dunklen Tuch trägt er ein Bild von August Bebel, erinnert damit die Sozialdemokraten an einen ihrer Urväter, dessen Ideen eher in Vergessenheit geraten sind.

Als Krawallmacherin kommt Marion Bach ins Rampenlicht, schimpft wie ein Rohrspatz, lässt Ausdrücke der schlimmsten Sorte heraus. Bittere Realität, denn so wurde Kanzlerin Merkel vor einiger Zeit bei einem Ausflug im sächsischen Heidenau von Wutbürgern begrüßt.

Überhaupt geht es in der Wortwahl im gesamten Programm keineswegs zimperlich zu. Kabarettisten haben eben das Ohr an der Realität. Egal, ob in sozialen Netzwerken, bei Demonstrationen oder in der neuen amerikanischen Politik, zimperlich geht es beim Umgang mit dem vermeintlichen Gegner eher selten zu. Falsche Argumente oder Lügen pur – man hört sie beim US-Präsidenten Donald Trump am laufenden Band – haben längst den Alltag erobert. Bach läuft dann mit ihrer Interpretation von Mireille Mathieus Schlager „Martin“ zur Höchstform auf. Kanzlerkandidat Schulz bekommt damit seine eigene Hymne. Er sei für den Schmerz der Sozialisten das Aspirin und „für uns bist Du das Jesulein“.

Die Dreierbande agiert stimmig, man wirft sich den Ball zu, geht aufeinander ein, wechselt permanent die Fronten. Ein Beispiel dafür das „Lied vom Kompromiss“, um 1919 von Hanns Eisler vertont, bekommt mit neuem Text besondere Aktualität.

Ein Klassiker, den Ernst Busch einst sang, kommt zu neuen Ehren, ein Volltreffer und beweist, dass das Programm-Verfallsdatum 23. September zu den Bundestagswahlen eher Nebensache ist. Regisseur Michael Rümmler, Zwickmühlen-Mitbegründer und heute Mitglied der Dresdner „Herkuleskeule“, hat sein Meisterstück abgeliefert, setzt auf Aktion und Spannung. Minimaler Kritikpunkt: das temporeiche Programm hätte ein paar winzige Atempausen vertragen.

Zeit zum Luftholen und Verdauen der Texte von Hans-Günther Pölitz, Lothar Bölck, Olaf Kirmis und Rainer Otto wären kein Manko. Zum Premierenabend gab’s Standing Ovations, das spricht für sich.