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Flüchtlingspolitik Biederitzer disktieren Asyl und Flucht

Wie gehen wir mit Fremden um? Mehr als zwei Stunden währte der Biederitzer Bürgerdialog zum Thema „Asyl und Flucht“.

Von Thomas Rauwald 14.07.2015, 19:20

Biederitz l Den Wissensdurst können vor allem Mamad Mohamed, Mitglied des Vorstandes Landesnetzwerkes der Migrantenselbstorganisation Sachsen-Anhalt (Lamsa) und Moderator Jürgen Schlicher aus Duisburg stillen. Schlicher agiert unter anderem als Trainer und Ausbilder im internationalen Konflikmanagement und Demokratisierungsprozess und als Anti-Rassismus-Coach.

Zunächst einige Fakten: Der Ausländeranteil in Sachsen-Anhalt liegt derzeit bei rund drei Prozent. „Eigentlich merken wir gar nichts von den Ausländern, vor allem nicht in den Dörfern“, so die generelle Einschätzung der beiden Experten, die sich durchaus wünschten, dass der Anteil steigen möge, damit durch den Kontakt und durch die eigene Erfahrung Vorurteile und Befürchtungen abgebaut werden können. Es gibt westliche Großstädte, in denen der Anteil bei rund 50 Prozent liegt. Hier würden die Ausländer ganz normaler Bestandteil der Zivilgesellschaft und nichts besonderes sein.

Insgesamt rechnet man in diesem Jahr mit rund 11 000 Menschen, die aus anderen Ländern nach Sachen-Anhalt kommen. Pro Jahr nehmen Halle und Magdeburg je rund 1000 Migranten und Flüchtlinge auf.

In Halberstadt befindet sich die zentrale Anlauftstelle für Asylbewerber. Von dort aus werden die Menschen – nach einem verwalterischen Verfahren – in andere Städte und Landkreise vermittelt.

In der Unterbringung der Einzelpersonen und Familien aus anderen Ländern in Massenunterkünften sieht die Diskussionsrunde den ersten Missstand. Die lange Verweildauer, das Warten auf das Asylverfahren und die Auflage, in dieser Zeit keiner Arbeit nachgehen zu dürfen, zermürbe viele Flüchtlinge. Dass die Zusammenballung auch soziale Spannungen und Aggression begünstige, bestätigte Mamad Mohamed.

Bewegt berichtet der Biederitzer Bürger Herbert Jellinek über seine Vertreibung aus Tschechien und die Schicksale seiner Nachbarn Mitte der 1940er Jahre. Doch nach wenigen Tagen habe er in Niegripp eine Stube und ein Dach über dem Kopf gehabt. Er forderte eine schnelle dezentrale Unterbringung der Asylbewerber und Flüchtlinge, die unter traumatischen Erlebnissen, Angst und Ungewissheit litten. Eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration, für das Fußfassen und die Akzeptanz in der Gesellschaft betrachtet Jellinek das unverzügliche und gründliche Erlernen der deutschen Sprache. Er erklärte sich bereit, wenn nötig, stundenweise Sprachunterricht zu erteilen.

Die Sprache ist ein Kernproblem. Doch jeder, der als Asylbewerber oder Flüchtling nach Deutschland kommt, hat ein Recht auf eine Sprachausbildung, die 100 bis 300 Stunden umfassen kann, berichtet Mohamed. Hier sei die Gesetzgebung einfach. Nicht aber insgesamt. „Das deutsche Asylrecht ist eine hoch komplizierte und differenzierte Angelegenheit. Das verlängert viele Entscheidungsprozesse“, schätzt Mamad Mohamed ein. Dazu bedürfe es umfassenden, gut geschulten Personals. Eine Gemeindeverwaltung könne das gar nicht leisten, urteilt der Fachmann.

„Ausländer schüren Angst“, postuliert eine Dame, die sich als Mitglied der Pegidabewegung bekennt. Selbst Polizisten würden nur in Zehnergruppen in Straßen gehen, in denen Ausländer wohnen, behauptet sie.

Die Vorbehalte vor anderen Gruppen seien allen Menschen immanent, entgegnet Jürgen Schlicher. Auch die Ausländer hätten vor uns Angst. Sie seien zudem in einem fremden Land, ihre Zukunft ist unsicher. „In jeder Gruppe gibt es Menschen, die Mist im Kopf haben“, sagt Mohamed. Nur persönliche Kontakte, das gegenseitige Kennenlernen und das Sammeln eigener Erfahrungen würden diese Vorbehalte aus dem Weg räumen, fügt Schlicher an. Dass es soziale Brennpunkte gibt, in denen die Polizei verstärkt agiert, träfe längst nicht nur auf einige Ausländerquatiere zu. Stichwort Randale in und vor Fußballstadien.

Willtraud Friedrichs merkt an, dass man hier in der Runde mit 30 Personen „wie am grünen Tisch spräche“. Würde in Biederitz die Kunde laut, dass eine Asylbewerber-Herberge errichtet wird, wäre die Kantorwiese voll mit Menschen, die Fragen und Angst haben und das nicht wollen. Dennoch findet sie es richtig und gut, dass schon jetzt über diese Problematik gesprochen wird.

Dem pflichtet auch Schlicher bei. Es sei gut, sich jetzt schon Gedanken mache, wie die Menschen, die vielleicht auch mal die Gemeinde Biederitz erreichen, untergebracht werden sollen. Wie man sie in die Zivilgesellschaft integrieren kann und möchte. Zu einer guten Willkommenskultur gehöre mehr als nur ein freundliches Wort des Willkommens. Am wichtigsten hält er die Bereitschaft, persönliche Kontakte mit dem künftigen Syrern, Sudanesen oder Eriträer, die vor Krieg, Not und Angst fliehen mussten, aufzubauen. „Und wenn das nicht klappt“, so Schlicher, „dann sollte man sich wenigstens gegenseitig in Ruhe lassen.“

Über einen Schritt in die richtige Richtung informierte Alexander Esche vom CVJM Biederitz: Man plane interkulturelle Nachmittage mit Gästen aus fernen Ländern. Der aus Syrien stammende Kurde Mammad Mohamed sichert den Jugendlichen dafür seine volle Unterstützung zu.