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Flüchtlingsdebatte „Die Gesellschaft ändert sich“

„Flucht ist keine Einbahnstraße“ lautete das Thema in Burg. Teilnehmer diskutierten über Flüchtlingspolitik.

Von Tobias Dachenhausen 26.09.2015, 09:00

Burg l Ein Westafrikaner verlässt seine Familie in Deutschland, um wieder in seine Heimat zurückzukehren. Seine Tochter ist zwei Jahre alt. Als er wieder zurück will, bekommt er kein Visum und reist illegal nach Deutschland ein. Dafür kommt er ins Gefängnis. Seine Odyssee über das Mittelmeer, Italien, Slowenien, Österreich hat sich tief eingeprägt. Albträume halten ihn wach. Dabei verfolgt er nur ein Ziel: Seine Tochter wiedersehen. Mit Hilfe eines gutmütigen Polizisten gelingt ihm das. Kurz bevor er abgeschoben wird.

Der Film „Das Rauschen des Meeres“ hätte die anschließende Podiumsdiskussion im Burger Kino am Mittwochabend nicht besser einleiten können. Begegnung auf Augenhöhe, wie der Polizist es zeigt, der sich dem Flüchtling annimmt, wünscht sich beispielsweise Christine Bölian vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. Auf dem Podium nehmen neben ihr Susi Möbbeck, Integrationsbeauftragte des Landes, Landrat Steffen Burchhardt (SPD), Burgs stellvertretender Bürgermeister Jens Vogler, Reinbern Erben vom Diakonischen Werk und Moderator Peter Gümbel Platz. Das Thema ist aktueller denn je. Allein im Jerichower Land wird mit über 2000 Flüchtlingen im kommenden Jahr gerechnet. „Es ist eine Herausforderung“, sagt Landrat Burchhardt. Das Thema sei gewaltig“, macht Vogler deutlich. „Wir müssen für diese vielen Menschen Perspektiven schaffen, mit denen wir auch eine Akzeptanz in der Bevölkerung erreichen.“ Die Landes-Integrationsbeauftragte des Landes, Susi Möbbeck, spricht von einer einmaligen Situation und lobt dabei das Engagement der Menschen.

In der zentralen Aufnahmestelle in Halberstadt seien die Hilfsangebote nicht mehr händelbar. Darum wurde dort bereits eine Ehrenamtskoordinatorin eingesetzt. „Diese Infrastruktur müssen wir jetzt im Land aufbauen“, macht Möbbeck deutlich. Bölian ergänzt: „Die verschiedenen Initiativen müssen voneinander wissen, damit es nicht immer ein Einzelkampf ist. Vernetzung ist wichtig und bringt mehr“, betont sie. Im Landkreis ist man gerade dabei, einen Runden Tisch für Integration ins Leben zu rufen. Die Stabsstelle Integration soll eine zweite Person im kommenden Jahr verstärken. „So können wir das vorhandene Angebot besser strukturieren und transparenter machen“, erklärt der Landrat. Ein Beispiel nennt Reinbern Erben. Er könne sich vorstellen, einen Garten mit den Bewohnern der Burger Gemeinschaftsunterkunft und Interessierten zu schaffen und zu pflegen. „So könnten wir uns einbringen. Die Situation ist ja insgesamt nicht neu, nur die Dimension ist eine andere“, sagt der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes.

Es gehe jetzt darum, den Blick zu weiten. „Die Gesellschaft wird sich ändern, sie wird vielfältiger. Nun geht es um ein vernünftiges Zusammenleben“, macht Möbbeck deutlich. Dabei gehe es vor allem darum, dass Begegnung stattfinde, erklärt Bölian. „Gesonderte Projekte sind nicht unbedingt notwendig. Angebote, die es bereits für die Bevölkerung gibt, können auch für die Flüchtlinge geöffnet werden“, sagt die Sprecherin des Flüchtlingsrats. Essentiell dafür, dass Begegnung stattfinde, ist eine funktionierende Kommunikation. „Die Sprache muss so schnell wie möglich gelernt werden“, sagt auch Möbbeck. Das Land ist gerade dabei, ein großes Netz an Sprachförderklassen aufzubauen. 80 Lehrer wurden dafür neu eingestellt, die auch Deutsch als Fremdsprache unterrichten können.

Um effektiv ein flächendeckendes Netz der Sprachförderung zu erreichen, braucht es aber noch weit mehr Personal. „Wir werden verstärkt Weiterbildungen zur interkulturellen Kompetenz und Deutsch als Fremdsprache anbieten. Dem Fachkräftemangel bei den Sozialpädagogen gilt es entgegenzuwirken, aber überall sind wir noch in der Startphase“, macht Möbbeck deutlich. Dennoch habe der Landkreis alles im Griff, erklärt Burchhardt. „Wir wollen weiter Aufklärung betreiben, aber dosiert. Es ist eine Herausforderung, die wir meistern werden“, so der Landrat.

Der Bund könne die Verantwortung nicht immer weiter nach unten schieben. „Die Kommunen brauchen Luft zum Atmen“, macht Burgs stellvertretender Bürgermeister deutlich. Für die Landes-Integrationsbeauftragte sei es vor allem wichtig, Formate zu finden, wo Bürger Fragen stellen dürfen, eventuelle Ängste abgebaut werden. Landrat Steffen Burchhardt baut auf die vielen kleinen Impulse, die von überall her kommen. „Wir müssen einfach weiter solidarisch leben. Die Menschen müssen mutig und engagiert bleiben und die kulturelle Vielfalt als Bereicherung nehmen und dieses dann auch ausstrahlen“, hofft Reinbern Erben für die Zukunft.