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Flüchtlingshilfe Wenn Erwachsene zu Schülern werden

Die Volksstimme wird dabei sein, wenn sich Ehrenamtliche und Asylsuchende der Herausforderung Integration stellen.

Von Franziska Ellrich 19.10.2015, 11:00

Burg l Mittwochmorgen, drei Grad Celsius und Nieselregen. Schnell vom Parkplatz in die warmen Räume des Soziokulturellen Zentrums (SKZ). Es ist 9.27 Uhr. Die ersten Gäste sitzen pünktlich in der großen Eingangshalle. Es ist ein fröhliches Durcheinander. Man kennt sich, schenkt sich gegenseitig Kaffee ein und lacht. Dort sitzen Frauen mit Kopftüchern neben Männern mit schwarzer Hautfarbe und dunklen Augen, zwischen ihnen die ehrenamtlichen Helfer - Sprachcafé-Zeit im SKZ.

Zweimal die Woche können Asylbewerber dort von Ehrenamtlichen Deutsch lernen. Zwei große, blonde Frauen tauschen gerade noch Lehrbücher aus. Als plötzlich eine Gruppe Jungs hinein stürmt. Sie sind von der Burger Gemeinschaftsunterkunft in der Zerbster Chaussee bis zur August-Bebel-Straße zu Fuß gelaufen. Und durchgefroren.

Nicole Wentorp lässt einmal kurz ihren Blick über die Gäste schweifen und hat sofort einen Plan. Die junge Frau ist eigentlich Koordinatorin im Mehrgenerationenhaus der Burger Rolandmühle. Doch mittwochs und freitags hilft sie morgens bei der Einteilung der Lerngruppen.

Wer versteht französisch und wer englisch, wer kennt das deutsche Alphabet und wer ist sogar schon bereit für komplizierte Grammatik? „Das geht bei manchen so schnell, das ist Wahnsinn“, sagt die Koordinatorin. Mal bekommt sie Hilfe von fünf Ehrenamtlichen, mal sind es zehn. Und wie diese Hilfe aussieht, wird beim Betreten des Unterrichtsraumes in der ersten Etage schnell klar. Ein Dutzend schwarze junge Männer führen immer wieder ihren Finger zur Nase und sprechen laut nach: „N-a-s-e.“

Die Lehrerin steht an dem Flipchart und malt einen großen Kopf auf. Pfeile zeigen auf die Ohren, die Augen, den Mund. In großen Buchstaben steht die deutsche Bezeichnung daneben. Die Jungs lernen schnell. Mit einer Menge Einsatz zeigen die Lehrerinnen auf Arme, Beine und Gesäß am eigenen Körper. Laut und deutlich wiederholen die Asylbewerber die Worte. Malen und schreiben im Akkord mit.

Abubakar zeichnet in die Mitte des Bauches einen dicken Punkt. „Wie heißt das?“, will der 19-Jährige wissen. „Bauchnabel, aha“, wiederholt der Afrikaner und fragt sofort nach der Schreibweise. Sein Platznachbar zeigt immer wieder auf seine Zähne und fragt nach der Aussprache. Die Betonung des ‚Z‘ fällt ihm nicht leicht.

Abubakar ist aus Niger geflohen und lebt seit einem Jahr in Deutschland. Einfache Fragen kann er bereits auf deutsch beantworten, wenn es komplizierter wird, vermischt er deutsche mit englischen Wörtern. „Ich würde gern viel öfter kommen, zweimal die Woche reicht noch nicht“, sagt Abubakar. Obgleich er zurück in der Gemeinschaftsunterkunft mit seinen Freunden „ganz viel“ übt.

Für Nicole Wentorp zählen jedoch nicht nur die 90 Minuten Unterricht, sondern auch das gemeinsame Kafeetrinken danach. Die Gespräche gehen oft tiefer und bringen furchtbare Schicksale zum Vorschein. Nicole Wentorp erzählt von einem syrischen Anwalt, der in seinem Heimatland heimlich im Keller die kurdische Sprache unterrichtet hat. Die Kurden sind in Syrien die größte ethnische Minderheit des Landes. „Zu uns zum Unterricht kommen viele, die wirklich gute Jobs hatten und viel aufgeben mussten.“