1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Der heilige Ort von Madel

Seelsorge Der heilige Ort von Madel

In der Justivollzugsanstalt Burg sitzen 606 Gefangene ein. Sie werden von vier Geistlichen betreut. Einer ist Christoph Kunz.

12.04.2016, 05:00

Burg l Die Türen schließen. Sie sind dick, unüberwindbar. Nur mit einem breiten Schlüssel aus Metall oder einer kleinen Plastikkarte zu öffnen. Christoph Kunz geht mehrmals die Woche in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg ein und aus. Er ist kein Justizbeamter. Auch kein Koch oder Arzt. Kunz ist 75 Prozent seiner Arbeitszeit hinter Gittern. Als katholischer Seelsorger ist für die über 600 Gefangenen in der Burger Haftanstalt. „Die anderen 25 Prozent arbeite ich in einer Gemeinde in Magdeburg“, sagt er ganz ruhig in seinem Büro sitzend. Das sei ein guter und wichtiger Ausgleich. Bei den Kollegen der evangelischen Kirche - sie sitzen gleich im Büro nebenan - ist die Arbeitsaufteilung eine andere. Eine Pfarrerin ist zu 100 Prozent in der JVA, ein Pastor zu 50. „Auf katholischer Seite gibt es noch einen Diakon“, erklärt Christoph Kunz. „Auch er hat eine 75 Prozent - Stelle.“

Die Hauptaufgabe des gebürtigen Westfalen ist die Seelsorge am Gefangenen. Dazu müssen die Männer in der JVA einen Antrag schreiben. Diesen findet Kunz dann in seinem Postfach vor. „Ich habe nur den Namen und die Adresse, also wo er hier bei uns im Haus untergebracht ist“, sagt der Theologe, der aber auch für die Mitarbeiter der JVA zuständig ist, und betont: „Weitere Informationen könnte ich mir über das System holen, aber das mache ich meist nicht.“ Schließlich stünde der Mensch und das Bedürfnis eines Mannes nach Seelsorge im Mittelpunkt. Aus der Erfahrung heraus, weiß Kunz, dass die für die Seelsorge relevanten Themen auch so zur Sprache kommen. „Die meisten Männer sagen mir zu Beginn von sich aus, weswegen sie in der JVA sind“, so Kunz.

Im Laufe der Zeit hat sich der Priester eine zeitliche Grenze für die Gespräche gesetzt. Eine Stunde habe sich als optimal herausgestellt. Dazu geht er die Flure entlang zu den Hafträumen. Er kommt in jedem rein. „Aber ich klopfe natürlich und bitte so um Einlass“, wirft Kunz ein. „Ich bin ja schließlich Gast.“ Man gehe ja auch nicht ohne Klopfen in eine Wohnung. „Und für die Männer hier ist es für eine lange Zeit so etwas wie ihre Wohnung.“

Seelsorge gehört in Deutschland zu den Grundrechten, sie ist im Grundgesetz mit der Religionsfreiheit verankert. Das heißt, dass auch die Gefangenen in der Sicherheitsverwahrung und jene, die besonders gewalttätig sind, einen Anspruch darauf haben. „Gewalt ist im Gefängnis stets ein Thema“, gibt Christoph Kunz mit ruhiger Stimme zu. Unaufgeregt sitzt er in seinem Stuhl, denkt darüber nach, ob es schon einmal Probleme für ihn gab. „Nein“, sagt er besonnen, „Übergriffe oder ähnliche Vorfälle habe ich gegen mich persönlich noch nicht erlebt.“ Wenn er einem Gefangenen in besonderer Haft zur Seite steht, dann ist dies stets unter Ausschluss der Justizbeamten der Fall. „Es gibt Räume, die noch eine Extraabgrenzung haben“, erklärt Kunz. Oder aber die Luke für die Speiseausgabe ist geöffnet.

Egal, wie Kunz mit den Menschen spricht, es ist immer vertraulich. „Ich bin an das Beichtgeheimnis gebunden, darf also nichts sagen“, erklärt der 52-Jährige. Die Strafgefangenen könnten also „komplett frei reden“. Im Gegenzug können die Geistlichen aber auch keine Vorteile gewähren oder Vergünstigungen beeinflussen, wie es zum Beispiel ein Psychologe mit einer besseren Prognose könnte. „Wir haben keinen Einfluss auf die Justizmaßnahmen“, stellt Kunz unmissverständlich klar. „Wir sind unabhängig in dem System Justiz.“

In den Gesprächen gehe es einmal um die Einsamkeit hinter Gittern. Die Menschen sind lange von ihren Familien getrennt, manche verlassen die Mauern für sehr lange Zeit nicht mehr. Aber auch der Umgang der Außenwelt mit einem Gefangenen werde immer wieder thematisiert. „Die Männer schauen Fernsehen und sehen teilweise, wie über ihre Taten berichtet wird“, sagt Kunz, „da kann auch ein gewisser Druck entstehen.“

Auch familiäre Probleme sind immer wieder zu lösen oder die ewige Frage nach der eigenen Schuld. „Die Menschen haben viel Zeit, das Kopfkino beginnt zu laufen, sie spekulieren“, berichtet der Seelsorger. Viele würden immer und immer wieder ihre Unschuld beteuern. Für Priester Kunz ist das nur am Rande wichtig. „Im Grunde ist es doch so, dass nur die Menschen selbst wissen, was genau vorgefallen ist“, sagt Kunz. Und ein Urteil fällen die Theologen so oder so nicht.

Im alten Gefängnis Naumburg war der Geistliche stets der Gastgeber für die Gespräche gewesen. „Nun als Seelsorger bei den Häftlingen zu Gast zu sein ist ein Vertrauensbeweis“, schätzt Kunz ein. Das erleichtere den ersten Kontakt mit den Menschen. Zudem seien in Burg auch logistische Gründe ausschlaggebend. Man könne nicht alle Häftlinge auf der „Magistrale“ immer hin und her führen. „Mit Magistrale ist der Verbindungsgang gemeint, der in alle Trakte führt“, erläutert Kunz.

Damit sich nicht die falschen Leute auf dem Gang sehen, ist auch der morgendliche Gang zur Arbeit der Gefangenen genau geplant. „Wenn sich zwei Gruppen oder Männer besser nicht sehen sollen, dann kann es auch schon vorkommen“, erklärt Kunz, „dass sie nicht gemeinsam an einem Gottesdienst teilnehmen können.“ Dieser findet in der JVA an jedem Sonntag im Sakralraum statt. Von dort blickt Kunz auf „einen heiligen Ort“ der JVA. Damit meint er einen Baum, um die einst die JVA erbaut worden ist.

Am Gründonnerstag haben Gemeindemitglieder aus Burg gemeinsam mit Strafgefangenen Fußwaschungen durchgeführt und auch Firmungen oder Taufen sind schon im Gefängnis gemacht worden.

Christoph Kunz wirkt ausgeglichen, seine sportliche Statur hinterlässt Eindruck. Körperlich ist er topfit. Damit auch seelisch die Arbeit im Gefängnis keine Spuren hinterlässt, sorgt er zusammen mit seinen Kollegen auch unter einander für Ausgleich. Sie nutzen Gruppengespräche, um mit dem Erfahrenen umgehen zu können. „Es tun sich auch gewisse Abgründe auf, wenn man mit den Gefangenen spricht“, gibt Kunz zu. Er selbst nutze noch persönliche Supervision, um die Belastbarkeiten des Jobs besser verarbeiten zu können.

Dennoch möchte Christoph Kunz den Job als Gefängnisseelsorger nicht missen. Anders als seine evangelischen Kollegen ist er unbefristet in der JVA Burg. Ein Ende ist somit nicht festgelegt. „Irgendwann wird aber sicher eine neue Aufgabe warten“, schätzt Kunz. Auch dafür ist er gewappnet. Nach der Priesterweihe hat er in Lutherstadt Eisleben gearbeitet und in Bayern soziale Arbeit studiert. Auch Schulseelsorger war er bereits. „Aber ich bin viel lieber bei den Menschen im Gefängnis als in der Schule“, sagt Christoph Kunz und lächelt.