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Notfallseelsorge Dienst im Zeichen der Nächstenliebe

Zehn Personen im Jerichower Land arbeiten aktuell als Notfallseelsorger. Verstärkung wird gesucht.

Von Tobias Dachenhausen 14.10.2016, 07:00

Burg/Genthin l Es war im April vor einem Jahr, als ein defekter Propangas-Ofen für eine Verpuffung in der Gommeraner Ausgabestelle der Tafel Möckern sorgte. Drei ehrenamtliche Helfer starben bei dem Unglück. Dabei handelte es sich um eine 59-jährige Frau und einen 72-jährigen Mann aus Möckern sowie einen 32-Jährigen aus Gommern. Zwei weitere Tafel-Mitarbeiter und ein Mann aus einer benachbarten Firma wollten noch Hilfe leisten. Sie erlitten zum Teil einen Schock. Betreut wurden sie unter anderem auch von Notfallseelsorgern. „Es war ein furchbares Ereignis, das mir noch heute sehr präsent ist. Damals habe ich Notfallseelsorger erstmalig live arbeiten gesehen. Es ist ein schwieriges und ambitioniertes Ehrenamt, das aber auch sehr viel zurückgeben kann“, sagt Landrat Steffen Burchhardt (SPD), der die Schirmherrschaft über das Team der Notfallseelsorge im Jerichower Land übernommen hat.

Das Team unter der Leitung von Thomas Menzel besteht derzeit aus zehn Mitgliedern und ist auf der Suche nach Verstärkung. Dazu haben sich mehr als 20 Interessierte zu einer Informationsveranstaltung im Saal Jerichow zusammengefunden. „Es ist eine psychisch anspruchsvolle Tätigkeit, die möglichst auf viele Schultern verteilt werden soll, damit es später nicht zur Belastung wird“, erklärt Superintendentin Ute Mertens. Der Kirchenkreis Elbe-Fläming ist Träger der Notfallseelsorge im Jerichower Land. Einer der zehn wird für eine Acht-Stunden-Schicht am Tag in Bereitschaft versetzt. Mit dem Träger wurde vereinbart, dass jeder vier bis fünf Schichten im Monat übernimmt. Wenn es zu einem Notfall kommt, informiert die Leitstelle den dann zuständigen Notfallseelsorger. 18 Einsätze waren es 2015, bereits 16 im laufenden Jahr. „Mit zehn Mitgliedern können wir natürlich nicht alles abfangen. Es gibt Lücken im Dienstplan, die wir schließen wollen“, betont Teamleiter Thomas Menzel.

Die Arbeit der Notfallseelsorge beginnt meist dann, wenn der Einsatz der Polizei- und Rettungskräfte beendet ist. Mertens bezeichnet die Tätigkeit als „Erste Hilfe für die Seele“. Aufgabe der Notfallseelsorger ist es, Trost zu spenden, aufmunternde Worte zu finden oder einfach nur zuzuhören, damit die Betroffenen das Erlebte besser verarbeiten können. „Notfallseelsorge ist ein wichtiger Dienst an Menschen in Krisensituationen. Wir sind sehr dankbar, dass sich die Teammitglieder im Sinne der Nächstenliebe ehrenamtlich dafür einsetzen.“ sagt Mertens. Landespolizeipfarrerin Thea Ilse spricht von „Hebammen der Trauer“. Dabei seien die Notfallseelsorger, anders als die Feuerwehrkameraden oder Polizisten, nicht die Handlungsaktiven. „Sie geben den Angehörigen oder den Betroffenen auch nur durch zuhören, das Gefühl sich wieder selbst zu finden“, so die Landespolizeipfarrerin.

In Sachsen-Anhalt sind 22 Teams mit insgesamt 400 Menschen in der Notfallseelsorge engagiert. Die Idee dahinter ist vor 25 bis 30 Jahren geboren. „Früher war das nicht notwendig. Die Netzwerke in der Familie waren oftmals noch viel dichter, als das heute ist. So ist in vielen Situationen ein Betroffener allein gelassen, weil die Familie nicht im Umfeld wohnt, da kommen wir ins Spiel“, erklärt Ilse. Dennoch sei es ein Ehrenamt, bei dem man sich viel trauen müsse. Bei Einsätzen nach einem Selbstmord, einem Gewaltverbrechen oder einem Unglücksfall mit einem Kind sei Mut gefragt. „Jeder Notfallseelsorger geht anders mit einer Situation um. Es ist wichtig, seine eigene Sprache zu sprechen, um vor den Betreuten authentisch zu bleiben“, erklärt die Pfarrerin. Auf Ablehnung sei das Team um Menzel noch nie gestoßen. „Ich hätte das auch nicht für möglich gehalten, aber auch wenn wir für die Betroffenen fremd sind, entstehen in diesen Situationen ganz schnell persönliche Gespräche“, sagt er.

Um auf diese Situationen entsprechend vorbereitet zu sein, werden potenzielle Mitstreiter zu einem Gespräch eingeladen, um zu schauen, ob man selbst für dieses Ehrenamt geeignet ist. Danach finden drei Wochenendkurse im Abstand von vier Wochen statt, in denen die zukünftigen Notfallseelsorger professionell geschult werden. „Wenn sich mehr als zehn Freiwillige finden, kann Ende Januar 2017 so ein Kurs auch in Burg stattfinden“, kündigt die Landespolizeipfarrerin bereits an. Auch danach wird man nicht allein gelassen. Das Team trifft sich zur Besprechung einmal im Monat, alle zwei Monate werden die Fälle besprochen.

Die Berührungsangst unter den Interessierten ist noch zu spüren. Doch die Landespolizeipfarrerin beruhigt: „Nach 90 Prozent der Einsätze gehen sie mit einem guten Gefühl nach Hause.“