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Reittherapie "Pferd" - Luisas erstes Wort

Die heilende Wirkung von Tieren: Sandra Amelung bietet in Möser eine Reittherapie für mehrere Krankheits- und Störungsbilder.

Von Juliane Just 09.10.2016, 07:00

Möser l Sie sind ein eingespieltes Team. Ohne Scheu greift die Siebenjährige mit ihren Fingern in die weiße Mähne von Filou. Schon oft saß Luisa auf seinem Rücken und freut sich jedesmal wieder darauf. Das Pferd von der Koppel holen, putzen, satteln – Luisa weiß, was sie zu tun hat. Alles sieht nach einer normalen Reitstunde aus. Doch es ist eine Therapie. Denn Luisa ist unheilbar krank.

„Dass etwas nicht stimmt, ist uns schon an Luisas erstem Lebenstag aufgefallen“, erinnert sich Luisas Mutter Jana Hirschfeld. Starke Gelbsucht, Gewichtsabnahme und zahlreiche weitere Symptome konnten sich die Ärzte nicht erklären. Vier Jahre sollte es dauern, bis Jana und Dirk Hirschfeld eine Diagnose zur Krankheit ihrer Tochter bekamen: Niemann-Pick Typ C. Eine seltene, vererbte Stoffwechselkrankheit. „Die Krankheit ist fies, weil keiner weiß, wann die nächsten Symptome dazukommen. Sicher ist nur, dass sie tödlich verläuft“, berichtet Jana Hirschfeld.

Luisa besucht regelmäßig Physiotherapie, logopädische Betreuung sowie die Ergotherapie von Sandra Amelung in Magdeburg. Dort wurden die Eltern auf die Reittherapie aufmerksam. Seit 2013 bietet Sandra Amelung diese in Möser an. „Seit meiner Kindheit habe ich mit Pferden zu tun. Irgendwann kam mir die Idee, eine Therapie mit den treuen Weggefährten zu entwickeln“, erzählt sie. Fünf eigens für die Therapie geschulte Pferde setzt sie dafür ein. „Tiere können oftmals Verbindungen zu Menschen herstellen, an denen Mitmenschen scheitern“, sagt sie.

Auf Filous breitem Rücken können Luisas Bewegungsabläufe verbessert werden. Sie muss die Balance halten und übt grob- und feinmotorische Fähigkeiten. Sandra Amelung führt Filou an einem Führstrick im Slalom durch das große Gelände. Luisa hält Ringe in der Hand, mit denen sie auf Kegel am Boden zielt. So werden die Bewegungen gezielt geübt. „Für die Feinmotorik haben wir zum Beispiel Klammern an die Pferdemähne geheftet“, erklärt Sandra Amelung. Luisa lächelt oft während der Therapie und winkt ihren Eltern stolz zu.

Epileptische Anfälle, verschlechternde Motorik, der Verlust der Sprache – all das wird irgendwann auf Luisa zukommen. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht in 20 Jahren. Grund sind zwei defekte Chromosome. Sie verhindern, dass das zugeführte Cholesterin nicht aus den Zellen abtransportiert werden kann. Es kommt zu einem Überschuss. „Die Nervenzellen machen dann, was sie wollen und nicht, was sie sollen“, verdeutlicht die Mutter. Da in Folge dessen die körperlichen und geistigen Fähigkeiten nach und nach verloren gehen, bezeichnen man Niemann-Pick Typ C umgangssprachlich auch als kindliches Alzheimer.

Die Liebe zu Pferden und Tieren im Allgemeinen ist Luisa in die Wiege gelegt worden. „Ihr erstes Wort war Pferd“, sagt Jana Hirschfeld schmunzelnd. Die Reittherapie schien wie gemacht für die Siebenjährige. Bei Sonnenschein, Regen und Schnee saß Luisa in den vergangenen zwei Jahren auf Filous Rücken. „Sie freut sich sehr auf die Reitstunde“, berichtet Jana Hirschfeld. Erfolge sehen die Eltern auch. „Nach der Therapie ist Luisa ausgeglichener und ihre Bewegungen sind koordinierter. Die Arbeit mit dem Pferd ist etwas Nachhaltiges“, erzählt Dirk Hirschfeld. Bei zahlreichen Krankheits- und Störungsbildern können die Tiere eine positive Wirkung haben – auf den Bewegungsapparat, das Selbstbewusstsein oder die Kontaktfähigkeit. 20 Personen sind bei Sandra Amelung und den Pferden in Therapie. Unter anderem kommen auch zwei Gruppen der Integrativen Kita aus Burg zur Reittherapie. „Die Therapie ist jedoch nicht auf Kinder beschränkt, auch für Erwachsene ist sie geeignet“, erzählt die Ergotherapeutin.

Nach dem Absteigen und Absatteln wittert Filou bereits Leckerbissen. Luisa streckt dem weißen Pferd Möhren und Brot auf flacher Hand entgegen, wie sie es gelernt hat. Filou beißt genüsslich hinein. Eine Woche wird nun vergehen, bis die beiden sich wiedersehen. Die kleine Hand tätschelt den muskulösen Hals des Pferdes. „Bis bald“, sagt Luisa leise, nimmt die Hand ihrer Mutter und läuft mit ihr in den Regen hinaus.