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Lehrermangel Eltern kämpfen um Unterricht im Schloss

Auch nach Maßnahmen des Landesschulamtes sieht der Schulelternrat keine Verbesserung der Situation an der Grundschule Möckern.

Von Stephen Zechendorf 04.02.2017, 08:00

Möckern l „Nach unseren Berechnungen ist die Grundschule Möckern jetzt gut versorgt, so wie es sein muss.“ Sagt Thomas Thunemann, schulfachlicher Referent für Grund- und Förderschulen im Landesschulamt Sachsen-Anhalt. Freiwillig hat er sich am Montagabend in die Höhle des Löwen gewagt, zu den Eltern von Kindern, die in der Grundschule Möckern unterrichtet werden. Aber ist das noch Unterricht, wenn an manchen Tagen zu wenige Lehrer da sind, als dass in jedem Klassenraum ein Lehrer ist?

„Wir haben derzeit Schülerzahlen wie im Jahr 2007/2008 aber gut 1000 Lehrer weniger“, rechnet Thomas Lippmann vor. Lippmann ist bildungspolitischer Sprecher der Linken-Fraktion im Landtag. Er ist auch der einzige Politiker, der der Einladung des Schulelternrates der Grundschule Möckern gefolgt ist. Angeschrieben hatten die Eltern im November Kreistagsmitglieder des Jerichower Landes, Landtagsabgeordnete und das Ministerium für Bildung. Nur wenige haben geantwortet, sagt Sven Holm, Sprecher der Elternschaft.

„Wie kann es sein, dass wir in Deutschland eine Schulpflicht haben, aber das Land es nicht schafft, diese Schulpflicht zu bedienen. Jetzt müssen wir uns hier hinsetzen und darum kämpfen, dass unsere Kinder anständig unterrichtet werden“, macht eine Mutter ihrem Ärger Luft.

Auch Möckerns Stadtbürgermeister Frank von Holly ist an diesem Abend zu der Versammlung gekommen. Ihn verwundert, dass es offenbar keinen Rechtsanspruch auf Bildung und ausreichende Lehrerstellen gibt: „Wenn wir als Träger der Kindertagesstätten den Betreuungsschlüssel nicht einhalten und eine Erzieherin mehr Kinder beaufsichtigt, als vorgesehen, dann gilt das als Straftat.“ Aberwitzig erscheine da die Forderung im Kinderförderungsgesetz (KiFöG) des Landes, welches „Bildung elementar – von Anfang an“, also schon in der Krabbelgruppe, fordert. In Grundschulen scheine dagegen zu reichen, wenn die Kinder irgendwie beaufsichtigt werden.

Wegen Krankheit und weil manche Kollegen nicht an allen Tagen der Woche in der Schule sind, wurden schon mehrfach Klassen zusammengelegt, auch jahrgangsübergreifend. Pädagogische Mitarbeiterinnen waren in Möckern zuletzt Fehlanzeige. Bis das Landesschulamt vor Kurzem auf die Beschwerden aus Möckern und Berichte in der Volksstimme reagierte. Jetzt hat man zwei Pädagogische Mitarbeiterinnen aus der Grundschule Gommern abkommandiert, für jeweils fünf Stunden in der Woche.

Auch läuft derzeit die Wiedereingliederung einer Lehrerin in den Möckeraner Schuldienst. Und auch eine Förderschullehrerin kommt in Möckern 14 Stunden pro Woche vorbei. Wenn sie nicht gerade in einer von zwei anderen Grundschulen oder sieben Kindertagesstätten ihre Arbeit macht. Nur: Die neu zugewiesenen Kolleginnen kommen ausgerechnet an den Wochentagen, an denen der Personalmangel in Möckern nicht so gravierend ist, erklärt Schulleiter Detlef Tamler. Die „gute Versorgung, so wie es sein muss“, gibt es nach Ansicht der Eltern und des Schulleiters also nur in der Statistik. „Die sinnvolle Umsetzung ist fast unmöglich“, sagt Tamler.

Schulamtsmann Thunemann kennt die Situation gut. Es ist nämlich an kaum einer Grundschule in Sachsen-Anhalt anders. Die sogenannte Unterrichtsversorgung liegt an etlichen Schulen unter 100 Prozent, zum Teil bei 90 oder 80 Prozent. Im Koalitionsvertrag hat man sich 103 Prozent versprochen. Aber es gibt nicht genügend Lehrer in Sachsen-Anhalt. Linken-Politiker Lippmann kommentiert das so: „Wir müssen jetzt die Fehler ausbaden, die vor Jahren bei der Schulpolitik gemacht wurden. Die größte Leistung des Landesschulamtes ist, dass der Mangel gleichmäßig aufs ganze Land verteilt wird.“

Pädagogische Mitarbeiterinnen sind Mangelware, weil sie als Auslaufmodell betrachtet werden. Das Problem: Pädagogische Mitarbeiterinnen werden rar. Sie sind Horterzieherinnen mit Lehrbefähigung, ein Berufsbild aus DDR-Zeiten, welches in den 90er Jahren zur Pädagogischen Mitarbeiterin umgewandelt wurde. „Seit 1990 ist keine mehr dazugekommen, seit 1995 scheiden immer mehr aus und sie werden nicht nachbesetzt“, so Thomas Lippmann. Schon jetzt gäbe es 50 Grundschulen ohne eine Pädagogische Mitarbeiterin. Diese Pädagogischen Kräfte würden in weiten politischen Kreisen als „Luxus“ bezeichnet werden. Ein Elternteil im Raum bringt es auf den Punkt: „Die PMs sterben also aus.“

„Was bedeutet das für die Grundschule Möckern?“, fragt ein Vater. Die Antwort des Mannes vom Landesschulamt ist ernüchternd: „Acht Schulklassen wird es im neuen Schuljahr wohl nicht mehr geben, dazu ist der Klassenschlüssel an der Schule zu ungünstig.“ An der Lehrerversorgung werde sich auch im kommenden Schuljahr nichts ändern. Thunemann geht von leicht vergrößerten Klassen aus. 27 Kinder werden vermutlich im kommenden Schuljahr eingeschult. Derzeit besuchen 124 Kinder die Schule.

Nach über zwei Stunden haben die Eltern immer noch keine Ahnung, wie es in der Grundschule vernünftig weitergehen soll – in Sachen Unterricht, aber auch in Sachen Aufsicht. Es fällt der Begriff der „verlässlichen Öffnungszeiten“. Soll heißen, die Eltern können sich darauf verlassen, dass ihre Kinder in der Schule beaufsichtigt werden. Derzeit sind das 5,5 Stunden am Tag. Üblicherweise übernehmen Pädagogische Mitarbeiterinnen diese Aufgabe vor und nach dem Unterricht, bis die Kinder in den Hort gehen. Das sei mit dem derzeit vorhandenen Personal kaum zu leisten, sagt Schulleiter Detlef Tamler. Es sei denn, man nutzt Lehrer dafür. Das bedeute wiederum: Unterrichtsausfall.

Nachdem im Winter die Situation zu eskalieren drohte, war der Hort mit seinem Personal eingesprungen und hatte nach Schulschluss bereits eine halbe Stunde früher als üblich die Betreuung übernommen. Das werde man nicht weiter so handhaben können, erklärt Frank von Holly. Der Hort liegt in Trägerschaft der Stadt. Derzeit sind die gestiegenen Elternbeiträge für kommunale Betreuungseinrichtungen scharf in der Diskussion.

„Die Gesamtkonferenz könnte möglicherweise beschließen, dass nur noch fünf Stunden Aufsicht garantiert werden“, wirft Thunemann vom Landesschulamt ein.

Stadtchef von Holly hat eine andere Idee: Denn in seinem Hort arbeiten Kolleginnen, welche die Ausbildung zur Horterzieherin mit Lehrbefähigung haben. „Die kann ich dem Landesschulamt gegen Kostenerstattung für die in unserer Grundschule fehlenden Pädagogischen Mitarbeiterinnen zur Verfügung stellen. Das Geld dafür hat das Land ja eingestellt, es fehlt nur das Personal vor Ort. Und das haben wir.“ Ob aus dem Deal etwas wird, bleibt abzuwarten. Während Schulfragen im Bildungsministerium geklärt werden, fällt der Hort in den Bereich des Sozialministeriums.

„Es besteht die Gefahr, dass unsere Kinder in der vierten Klasse nicht lesen und schreiben können“, fürchtet Frank von Holly. Einfach hinnehmen werde man das nicht. „Ich habe keine Scheu, das Land auch ein viertes Mal zu verklagen.“ Bei den Klagen gegen das KiFöG, das Wassergesetz und das Finanzzuweisungsgesetz (FAG) sei man erfolgreich gewesen.