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Lesung Geschichten voller Humor und Tiefgang

Ein Schreibwettbewerb - das war für Holger Böwing der Einstieg in die schriftstellerische Arbeit.

Von Anke Kohl 20.10.2015, 03:00

Zichtau l Zu kurz kam am Sonnabend bei der Lesereihe Literatur am Kamin im Kornspeicher des Zichtauer Gutshofes niemand. Auch wenn der Titel des neuen Buches von Holger Böwing „Die Zukurzgekommenen“ lautet. Der gebürtige Klötzer stellte sein neues und nach „Jakob Leising“ und „Fabler“ damit drittes Buch vor. Die ersten schriftstellerischen Schritte, die Holger Böwing als Schüler machte, waren lyrischer Natur, berichtet er. Die Klötzer Bibliothek hatte einen Schreibwettbewerb initiiert, bei dem ein Preisgeld von sage und schreibe 60 Mark der DDR ausgelobt war. „Das war richtig viel Geld“, erinnert sich Holger Böwing , und dass er dafür Gedichte geschrieben hat. Dreimal habe er teilgenommen und zweimal sogar gewonnen, weiß er noch heute.

Dass ein späterer Wegbegleiter ihm dann deutlich zu verstehen gegeben habe, dass Lyrik eigentlich nicht sein Fachgebiet sei, ist da schnell vergessen. Vielleicht waren die Worte des Literaturwissenschaftlers an der Studentenbühne ja der Auslöser, dass der Student des Lehramtes, Holger Böwing, begann, Prosa zu schreiben.

Sein drittes Buch ist gespickt mit 20 Geschichten aus 30 Jahren, und sie alle handeln von Menschen, die an irgendeiner Stelle des Lebens zu kurz gekommen sind. Da ist zum Beispiel „Josef im Glück“. Ein junger Mann, gut situiert, aber ledig, der fast schon ärgerlich ist über die Erbschaft von seiner Mutter in Höhe von 80 000 Mark. Hätte es die Zinsabschlagssteuer zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben, so wäre Josef sicher nicht auf die Hilfe der mütterlich wirkenden Anlageberaterin R. Feuchter angewiesen gewesen. Und hätte sie nicht so mütterlich anziehend auf ihn gewirkt, so hätte er sicher eine ganze Menge Geld mehr gehabt, das sie über Jahre sehr erfolgreich reduzierte.

Viele seiner Geschichten haben „Anteile eigenen Erlebens. „Aber es ist immer auch viel dichterische Freiheit in ihnen“, erzählt Holger Böwing zu Beginn des zweiten Teils der Lesung. So gab es in Klötze, wo er aufwuchs, tatsächlich einen Laden der im Volksmund „Lieben Lieschen“ hieß. Das Kopfnicken und Raunen der knapp 30 Zuhörer bestätigte, dass sowohl der Fakt stimmte, als auch, dass einige von ihnen den Autor schon seit seiner Kindheit kennen.

Lieschen, so der Rufname der Inhaberin des Ladens, hat es einst als wohl einzige Klötzerin gewagt aus der Tür zu schauen, als ein langer Marschtreck mit KZ-Häftlingen durch die Purnitzstadt zog. Den Geschundenen, die nur wenige Stunden später in einer Scheune bei Gardelegen den Feuertod finden sollten, hatte sie verbotenerweise Lebensmittel zugesteckt. Ein begleitender Offizier habe ihr deshalb zugerufen: „Lieben, Lieschen, kannst Du unsere Feinde wieder nach dem Endsieg.“ So entstand der Name des kleinen Lädchens, in dem auch eine Geschichte spielt.

In seinem ersten Buch „Jakob Leising“ verarbeitet Böwing das Erleben an seinem ersten Arbeitsplatz – einer Schule mit angegliedertem Heim für Schwererziehbare. „Da wollte ich mir was von der Seele schreiben“, erzählt er. Das Buch durfte in der damaligen DDR aber nicht veröffentlicht werden. Erst 2009, 20 Jahre nach dem Verfassen, ging es in den Druck.An seinem zweiten Roman „Fabler“, der stark autobiografisch geprägt ist, hat Holger Böwing acht Jahre gearbeitet. Umfangreiche Recherchen haben dabei einen großen Zeitraum eingenommen, wie der Autor am Sonnabend erzählt