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Heimatverein Wo selbst der Kaiser ein Smartphone hat

Am 13. November 1886 jagte der Kaiser zum letzten Mal in Letzlingen. Am Sonnabend traten die Herren des Heimatvereines in seine Fußstapfen.

Von Gesine Biermann 15.11.2015, 15:34

Letzlingen l Antreten auf dem Schlosshof vor dem Aufbruch zur Jagd, genau wie vor 129 Jahren: Kaiser Wilhelm I. und sein Gefolge sammeln sich unter der Fahne zum Gruppenfoto. Einziger Unterschied: Es gibt vor Ort nicht nur einen, sondern gleich jede Menge „Hof-Fotografen“, und die lichten die illustere Runde in ihren schmucken Uniformen natürlich nicht unter schwarzem Tuch mit Balgenkamera auf dem Stativ ab, sondern digital, denn viele Besucher wollen sich natürlich einen Schnappschuss mit nach Hause nehmen. So historisch und doch zum Anfassen erlebt man Geschichte schließlich nicht jeden Tag.

Ganz begeistert von der Zeremonie des Letzlinger Heimatvereines zeigen sich zum Beispiel vier waschechte Berliner: „Wir sind derzeit Gäste im Schlosshotel“, erzählt Ute Gebhardt, die sich mit Ehemann Reiner und den Freunden Gabriele und Eugen Eimer die Altmark für einen Kurzbesuch ausgesucht hatte. „Wir sind sozusagen auf Entschleunigungskurs“, ergänzt Eugen Eimer augenzwinkernd.

Ganz entzückt sind die vier deshalb auch, dass sie sogar im wahrlich entschleunigten Kremser Platz nehmen dürfen, der sie hinter der Kutsche des Kaisers – die wieder einmal der Gardeleger Horst Weingart lenkt – zum Kaiserstein bringt. Und dort werden sie zu ihrem Vergnügen dann sogar als „Gäste aus der Reichshauptstadt“ besonders willkommen geheißen. Einen ganz persönlichen Bezug zu Kaiser und Jagd bringt am Sonnabend schließlich auch Heidemarie Bochmann aus Elsebeck mit.

Ihr Urgroßvater Gustav Hermecke war einst nämlich Oberförster im Ort und selbst mit dem Kaiser zur Jagd ausgeritten, wie sie aus der Überlieferung ihrer Großmutter weiß. „Er hatte auch sonst viel mit dem Kaiser zu tun“, erzählt sie, „ich finde es total spannend, hier zu sein.“ Zu ihrer Freude kann Heimatvereinschef Karl-Ulrich Kleemann sogar das Bild zuordnen, das sie mitgebracht hat. Das nämlich zeigt ihren Ahn zu Pferde vor der Försterei, und die habe sich im heuten Caritasheim befunden, erklärt ihr Kleemann. Noch ein Puzzleteil, das sie und ihr Lebensgefährte Georg Eckhardt – „sein Urgroßvater war übrigens mal Treiber bei einer solchen Jagd“ – richtiggehend begeistert.

Beide schauen schließlich auch noch am Kaiserstein vorbei, genauer „auf dem Jagen 394a“, wie Kleemann erläutert, wo seine Majestät einst wohl auch ein zünftiges Mahl erwartete. Die Letzlinger und ihre Gäste können sich jedenfalls über eine deftige Stärkung aus der Gulaschkanone des Erxlebeners Peter Zimmermann freuen.

Dazu gibt es Getränke, die Thomas Lippold junior für den Heimatverein anbietet, und am Feuerchen duftet sogar Glühwein im Kessel für all jene, die dem echten Kaiserwetter inwendig etwas entgegensetzen wollen – bei der letzten Jagd seiner Majestät war es nämlich tatsächlich sehr trübe und nebelig, berichtet Karl-Ulrich Kleemann vor Ort aus der Geschichte. Ach ja: Auch der Hofmarschall persönlich betätigt sich am Sonnabend übrigens höchstselbst als Fotograf. Auf dem Schlosshof zaubert er nämlich eine kleine Kompaktkamera aus der Uniformtasche.

Sein Chef, der Kaiser, outet sich schließlich sogar als richtig moderner Monarch: Mitten im Wald zückt Wilhelm I. sein Smartphone für ein Erinnerungsfoto. So ganz ist die Zeit in Letzlingen also doch nicht stehengeblieben, auch wenn die Herren des Heimatvereines mit jedem Jahr ein bisschen glaubwürdiger rüberkommen.