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Tanz Walzer, Fox und Tango: Der Herr der Schritte

„Tanzen ist Träumen mit den Beinen“, sagt ein Sprichwort. Sieht man es so, ist er wohl Gardelegens größter Träumer.

Von Gesine Biermann 21.02.2016, 09:00

Gardelegen l Es war mit vielen Dingen so, zu tiefsten DDR-Zeiten – mit guten, ebenso wie mit schlechten: Am Anfang stand ein Erlass. Und in diesem Fall kam er von ganz oben: 1966 bestimmte man im Kulturministerium der DDR, „dass in den neunten und zehnten Klassen der Polytechnischen Oberschulen verstärkt Tanzunterricht mit ästhetischer Bildung durchzuführen sei“. Schwerpunkt war dabei der ländliche Raum. Ganz im Gegensatz zu den Großstädten gab es dort nämlich keine Tanzschulen. Gardelegen machte da keine Ausnahme.

Und zudem gab es offensichtlich im gesamten Kreis Gardelegen auch keinen, der es richtig konnte. Deshalb kam Tanzlehrer Wilhelm Friedrich extra regelmäßig aus Haldensleben vorbei, um den jungen Leuten die rechten Schritte zu zeigen. „Und weil ich für ihn damals in Gardelegen beruflich die Tanzstunden organisieren musste und oft auch dabei war, fing ich an, mich dafür zu interessieren, wie das so geht“, erinnert sich Hans Dieter Laurich heute.

Friedrich, immerhin schon 75, wurde sein Ausbilder und Pate und schrieb ihm schließlich sogar ein Empfehlungsschreiben an eine echte Berühmtheit: Helmut Seifert, Chef der damaligen Arbeitsgemeinschaft der Lehrer für Gesellschaftstanz mit Sitz in Leipzig, war damals nämlich die Tanzkoryphäe der DDR schlechthin. „Er war übrigens auch der Erfinder des Lipsi“, sagt Laurich heute augenzwinkernd. „Auf die von Ulbricht gewünschte Alternative zum dekadenten Rock‘ n‘ Roll, hatte aber keiner Lust, der Schritt war einfach zu langweilig“.

Ganz und gar nicht langweilig fand Laurich indes die zahlreichen Standardtänze, die damals gelehrt wurden, Walzer natürlich, der Langsame und der Wiener, Fox und Blues, der Rheinländer oder der Letkiss – so eine Mischung aus Hüpfen und Tanzen, die bei den jungen Leuten gut ankam. Und genau das konnte schließlich 1968 auch der schmucke, dreißigjährige und frischgebackene Gardeleger Tanzlehrer Hans Dieter Laurich von sich behaupten. Denn die Jungs und Mädchen der Oberstufen in Mieste, Oebisfelde oder Gardelegen strömten nur so in seine Kurse. So gut wie jeder Jugendliche wollte plötzlich tanzen lernen.

„Manchmal mussten wir Schüler auf den nächsten Kurs vertrösten, dann sind sogar Tränen geflossen“, erinnert er sich. Disziplinsorgen? Für ihn kein Thema. „Ich weiß noch, dass mich manchmal Lehrer gefragt haben, wie ich das mache, dass alle so aufmerksam sind.“ Auch geschwänzt wurden seine Stunden nie. Nur an einem Termin im Jahr sah auch er in Gardelegen leere Stühle: „Immer wenn Martinimarkt auf dem Tivoli war, stand ich fast alleine hier. Nicht, dass sie sich zu Hause nicht zur Tanzstunde abgemeldet hatten. Nur angekommen sind sie hier nicht...“

Für den Rummelbesuch drückte aber eben auch Laurich mal ein Auge zu. Sonst indes eher nicht: Wer bei ihm tanzen lernte, bekam schließlich auch gleich noch ein bisschen Benimm fürs Leben mit. Es gab sogar ein kleines Heftchen, in dem erläutert wurde, „wie man eine Dame auffordert und sie zum Platz zurückbringt oder wer wen zuerst vorstellt. Zum Beispiel liegt es immer beim Mädel, dem Herrn zuerst die Hand hinzuhalten“, sagt Laurich und zwinkert.

Nach insgesamt zwölf Unterrichtsstunden wurde es für die jungen Damen und Herren dann allerdings auch auf dem Tanzparkett regelmäßig ernst: Zum Abschlussball kamen schließlich nicht nur die Schulkameraden, sondern auch die Eltern und oft noch die Großeltern zum Zuschauen. „Die Karten waren meist schon im Vorfeld ausverkauft.“ Mancher Schüler, der seine Zuschauerkarten vielleicht nicht für die Großeltern brauchte, vertickte sie meistbietend, denn so ein Abschlussball war damals ein echtes Ereignis: „Es war immer voll im Volkshaus“, versichert Laurich.

„Unten im Saal saßen die Eltern und oben auf der Galerie die stolzen Omas und Opas Und wenn die Jungen und Mädchen dann hereinschritten – immer zur Polonaise – kullerten bei den gerührten, meist weiblichen Familienmitgliedern – schon die ersten Tränen.

Um die bei seinen Mädels zu vermeiden – weil wieder mal einer der jungen Herren die Blümchen für seine Tanzpartnerin vergessen hatte – sprang Laurich schon bald auch hier ein: „Ich habe das dann übernommen, so war sicher, dass jedes Mädchen das gleiche Sträußchen bekam.“ Dieser ehrgeizige Plan war zwar gar nicht so leicht umzusetzen angesichts der Versorgungssituation im Blumensektor. Doch der Charme des jungen Tanzlehrers war wohl unüberwindlich: So manche Gardeleger Blumenfee reservierte für ihn vor dem Abschlussballdatum die Blütenstängel unter dem Ladentisch: „Ich habe es immer geschafft, auf jedem meiner 110 Abschlussbälle, auch wenn es manchmal nur eine Rose oder eine Nelke für jedes Mädel war“, sagt Laurich stolz.

Was damals kaum einer ahnte: Zum Unterricht oder Ball knatterte er selbst anfangs mit dem Motorroller – den Rucksack mit schickem Anzug und Tanzschuhen auf dem Rücken. „In Mieste kam ich mal an, nass wie eine Katze!“ Die Musik im Unterricht kam übrigens anfangs vom Plattenspieler – inklusive überspringender Nadeln –, später dann vom Tonband oder Kassettenrekorder. Zum Ball jedoch spielte immer eine Kapelle live. Und wenn es die Hoffmann-Combo war, saß Laurich sogar noch selbst mit auf der Bühne. Denn Saxophon spielt er auch noch richtig gut. „Ich musste dann nur immer hin- und herspringen“, gibt er zu. Aber auch das bekam er hin.

Und auch etwas anderes schaffte er irgendwie immer: Obwohl meist mehr Jungen in seine Kurse kamen – heute kaum noch denkbar –, und natürlich nicht jede mit jedem tanzen wollte und umgekehrt, – wie heute – hatten zum Abschlussball alle einen Tanzpartner: „Manchmal sind Schüler aus ehemaligen Kursen noch mal gekommen, manchmal haben die Jungs mit mehreren Mädchen getanzt.“ Auf jeden Fall durften alle auf das glatte Parkett, auf dem sich Laurich wie zu Hause fühlt.

Heute blickt der 77-Jährige auf unglaubliche 93 Tanzlehrgänge mit 5118 Teilnehmern zurück, die er allein in seiner aktiven Zeit in den Standardtänzen unterrichtet hat. Noch bis 1990 dauerten seine berühmte Tanzkurse. Nach der Wende wurde die Nachfrage geringer. Lange stillzustehen ist einem Tanzlehrer wie ihm aber nicht möglich. Ab 1998 gab Laurich wieder Unterricht, diesmal auf Honorarbasis und für Paare, die Lust auf niveauvollen Tanz hatten. Bis 2008 leitete er mehrere Tanzkreise.

Und er tanzt bis heute leidenschaftlich gern, nicht nur mit Ehefrau Christa. „Junge Leute, die noch bis zur Hochzeit die richtigen Schritte lernen wollen, sind bei mir richtig“, verspricht er. Zum ersten Mal stellt sich Laurich als Privattanzlehrer übrigens auf der Hochzeitsmesse heute im Gardeleger Volkshaus vor. Ein Profi lässt eben stilvoll bitten.