1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Gardelegen
  6. >
  7. „Haben mit offenen Karten gespielt“

EIL

Boryszew „Haben mit offenen Karten gespielt“

In der Gardeleger Boryszew GmbH sollen Verwaltungsjobs gestrichen werden. Und schon wieder steht das Weihnachtsgeld zur Debatte.

Von Gesine Biermann 18.03.2016, 20:00

Gardelegen l Sie sollen wieder einmal zurückstecken. Bereits zum dritten Mal, seit die einstige AKT 2011 durch die polnische Boryszew Gruppe übernommen wurde, sollen die Mitarbeiter in Gardelegen auf ihre Jahresgratifikation verzichten. Das zumindest wünscht sich die Geschäftsführung des größten Automobilzulieferers der Region. Geschäftsführer Jaroslaw Ciemniejewski lässt Anfang März die Maschinen der Frühschicht anhalten und trägt die Bitte an die versammelte Belegschaft heran. Der Grund seien Umstrukturierungen im gesamten Firmenensemble, erfahren die Anwesenden. In diesem Rahmen sollen auch 24 Stellen in der Verwaltung gestrichen werden. Wieder einmal ist der Frust groß: „Immer die Kleinen müssen es ausbaden, wenn es den Großen nicht gut geht“, sagt eine Mitarbeiterin im Gespräch mit der Volksstimme.

Dabei hatten alle gehofft, dass mit dem erfolgreich abgeschlossenen Haustarifvertrag im vergangenen Jahr – der übrigens auch die Zahlung des Weihnachtsgeldes garantiert – endlich mal ein bisschen Ruhe eingekehrt ist – und nun das. Offenbar sei die Abgaswert-Krise des Hauptauftraggebers VW auch bei den Zulieferern angekommen – „nicht, dass wir kein Verständnis hätten“, betont eine Produktionsarbeiterin, „aber warum sollen wir immer bluten? VW und die Welt sollen ruhig erfahren, was hier bei uns los ist.“ So gar kein Verständnis für die neuerlichen Forderungen, insbesondere auf die Null-Runde beim Weihnachtsgeld, hat Gewerkschaftssprecher Jan Melzer: „Keine Chance – nicht mit uns“, betont der Mann der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).

Während einer Betriebsversammlung wird man sich schnell einig: Die Forderungen werden zurückgewiesen. „Gekündigt werden kann ohnehin niemand ohne Sozialplan und ohne dass der Betriebsrat angehört wird“, erinnert Melzer. Und das Weihnachtsgeld sei schon gar nicht verhandelbar. „Irgendwann ist das Ende der Fahnenstange erreicht.“ Seit sieben Jahren habe es keine Lohnerhöhungen gegeben. „Und es gab Fälle, da sind Mitarbeiter eingestellt worden mit nur 24 Tagen Mindesturlaub. Da war mancher Leiharbeiter besser dran.“ Aber die geplante Restrukturierung? „Die ist doch schon seit 2011 geplant“, sagt Melzer, „dem Unternehmen ging es doch noch nie gut!“

Und wohl auch deshalb gibt es dann doch noch ein Angebot an die Geschäftsleitung: Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, die nächste Tarifrunde zu verschieben, so Melzer. „Allerdings unter zwei Voraussetzungen: Nur wenn die Geschäftsleitung ein Unternehmenskonzept vorlegt und wir dies durch einen deutschen Sachverständigen prüfen lassen können“, sei man bereit, neue Entgeltverhandlungen aufs Jahresende zu verlegen. Wenn die Geschäftsführung keine Tarifvertragskündigung und möglichen Arbeitskampf wolle, „haben sie nun bis zum 8. April Zeit, darauf zu reagieren. Dann wollen wir eine Antwort.“

„Das wollen wir zwar einhalten“, ob bis dahin allerdings tatsächlich schon ein Konzept vorliege, sei noch nicht sicher, macht Geschäftsführer Jaroslaw Ciemniejewski am Donnerstag im Gespräch mit der Volksstimme klar, „zuerst müssen wir ja mit VW verhandeln, dann können wir eine Prognose aufzeigen.“

Gemeinsam mit Personalchef Marek Schleiss und PR-Manager Michal Kujawski hat er sich diesmal viel Zeit für Fragen und Antworten genommen. In der Vergangenheit hatte sich die Chefetage der Boryszew Gardelegen – freundlich ausgedrückt – eher bedeckt gehalten, wenn es um die Pressearbeit ging. Diesmal soll es offener zugehen: Ja, natürlich seien nach der Krise bei VW „härtere Verhandlungen“ zu erwarten, bestätigt denn auch Marek Schleiss, auch wenn er dabei nicht ins Detail gehen will. Wie wichtig diese Verhandlungen für das Unternehmen sind, zeigt aber schon eine einzige Zahl: 90 Prozent der Aufträge für das Gardeleger Werk kommen direkt aus Wolfsburg. VW ist und bleibt der wichtigste Kunde für Boryszew in Gardelegen.

Aber auch ein anderes Problem werde zuweilen vergessen: Boryszew habe das Werk schließlich aus der Insolvenz gekauft, erinnert Marek Schleiss – „und zwar mit allen schlechten Aufträgen“, die die damalige Firmenleitung wohl in ihrer Verzweiflung noch unterschrieben hätte, ergänzt Ciemniejewski. All das seien „Altlasten“, die sich bis heute auswirkten.Derzeit gehe es aber vor allem darum, „Prozessabläufe zu optimieren“, betont Schleiss. Die Kündigung von 24 Verwaltungsmitarbeitern sei „leider“ Teil davon. Notwendige Einschnitte, die aber „nicht durch die Hintertür“ kämen. „Wir haben mit offenen Karten gespielt“, betont Ciemniejewski.

Zudem bemühe man sich derzeit für die Mitarbeiter, „auf die wir verzichten müssen“, andere Arbeitsplätze zu finden, auch innerhalb des Unternehmens. „Die Mehrheit sind wirklich gute Leute.“ Und selbstverständlich werde auch der Betriebsrat einbezogen, versichert der Geschäftsführer. „Aber bitte bedenken Sie auch: Wir sprechen hier von nur 2,5 Prozent der Mitarbeiter.“ Von der Forderung nach einer Nullrunde beim Weihnachtsgeld hat man in der Chefetage zudem offenbar komplett Abstand genommen: „Wir haben verstanden“, sagt Ciemniejewski und im Hinblick auf das Angebot, die Tarifverhandlungen zu verschieben: „Die Belegschaft ist einen anderen Weg gegangen. Das haben wir akzeptiert.“

Ohnehin sei er der Überzeugung, dass die Kommunikation in der jüngsten Zeit deutlich besser geworden sei, findet der Betriebschef. Und vielleicht sei in der Vergangenheit auch so manche Formulierung „unglücklich gewählt worden“, glaubt Schleiss. Indes: Viele Zusammenhänge seien eben auch nicht jedem Arbeitnehmer klar. Die viel kritisierten Leiharbeiter zum Beispiel seien in einem Betrieb wie diesem unverzichtbar, um Auftragsspitzen oder auch Krankschreibungen auszugleichen. Produktionsschwankungen oder Engpässe könne sich in der Branche nämlich kein Unternehmen leisten. „Wir arbeiten just-in-Time“, erinnert Schleiss und: „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen. Wir müssen uns den Gegebenheiten anpassen. Eine Krise darf nicht das Ende bedeuten.“

Und die oft kritisierte Mangelwirtschaft? Mitarbeiter monieren immer wieder fehlende Zukaufteile oder fehlendes Verpackungsmaterial in der Produktion. So etwas komme wohl vor, sagt PR-Mann Michal Kujawski, aber deshalb sei man ja im Optimierungsprozess, dass es dazu nicht mehr kommt. Geschäftsführer Ciemniejewski will das am Ende aber noch einmal relativieren: „Wenn das wirklich so wäre, würden Sie in der Presse ständig vom Bandstillstand bei VW lesen“, sagt er schmunzelnd. Zumal die Verpackungsmaterialien ohnehin zu 90 Prozent von VW geliefert würden. Dass das Leben im größten Betrieb der Boryszew Automotive Plastics weitergeht, daran arbeite man jeden Tag, betonen Ciemniejewski und Schleiss mehrfach. Aber das gehe nur gemeinsam mit der Belegschaft.