1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Gardelegen
  6. >
  7. Ein Tausendsassa sagt Tschüss

Abschied Ein Tausendsassa sagt Tschüss

20 Jahre lang begrüßte Hans-Joachim Stiegler Zuschauer und Gäste beim Gardeleger Kaffeeklatsch - am Donnerstag ein letztes Mal.

Von Gesine Biermann 10.05.2017, 03:00

Gardelegen l Er sang in „Figaros Hochzeit“ ebenso wie in der DDR-Sendung „Landpartie“. Er spielte den Sohn des Wilhelm Tell und den Professor Higgins in „My Fair Lady“. Er war Sänger und Moderator, Spielmeister und Schauspieler. Er arbeitete mit Chris Roberts, Ireen Sheer, Katja Ebstein und René Kollo. Und auch Stefanie Hertel kennt Hans-Joachim Stiegler noch, da war sie „soooo klein“. Und sich selbst bezeichnet er fröhlich als „Auslaufmodell“. Und auch wenn man da natürlich sofort widersprechen möchte: Ein bisschen hat er recht.

Denn das alles, was Hans-Joachim Stiegler ist, kann und auch tut, macht ihm heutzutage kaum noch ein Künstler nach. Denn Stiegler kann eigentlich alles – und alles gut. Er singt, er tanzt, er plaudert, er plant und produziert, er moderiert und zuweilen improvisiert er eben einfach, wenn es mal irgendwo hängt. Er kann das noch. Er kann noch live.

Kein Wunder bei der Bühnenerfahrung, auf die der gebürtige Dessauer zurückblicken kann. Mehr als 70 Jahre sind es. Mit neun stand Stiegler zum ersten Mal als Chorsänger auf der Bühne des Dessauer Landestheaters. Und heute, mit 80 Jahren, ist er immer noch mittendrin. In Gardelegen jedenfalls kann sich wohl keiner einen Kaffeeklatsch ohne ihn vorstellen. Seit mehr als 100 Folgen, genau seit 1997, ist er es schließlich, der das Publikum im Schützenhaus begrüßt, selbst singt und auf dem berühmten Kaffeeklatschsofa mit den Gästen plaudert. Keiner kann das so wie er.

Von den Herren wird er dafür bewundert, von den Damen oft auch ein bisschen verehrt. Ehefrau Edith, die ihn seit 1981 zu allen seinen Engagements begleitet, hat ihn aber immer im Blick und gleichzeitig auch die Konzeption und Tontechnik. „Ohne meine Frau wäre ich heute nicht das, was ich bin“, sagt Stiegler sehr charmant. Aber sie weiß sicher auch, dass man einen geborenen Entertainer wie ihn eben nie lange von seinem Publikum fernhalten kann.

Stiegler jedenfalls kann nicht ohne. Und er lässt sich auch nicht festlegen. So arbeitet er seit seinem als 20. Lebensjahr an verschiedenen Theatern als Chorsänger, Solist und Tänzer. Er gibt gleichzeitig Gastspiele in Frankfurt, Leipzig, Dresden und Berlin, mimt insgesamt in 32 Inszenierungen mit. Als 32-Jähriger ist er als Autor, Produzent, Regisseur und Mitwirkender beim Eröffnungsprogramm der ersten Arbeiterfestspiele der DDR in Halle dabei und arbeitet nebenbei auch noch ehrenamtlich als Fachmethodiker für das künstlerische Wort in Bernburg.

Seit 1973 ist er schließlich als Freiberufler tätig und nicht einmal die Saure-Gurken-Zeit nach der Wende, in der viele Berufskollegen das Handtuch warfen, wirft ihn aus der Bahn. Schon 1991 ist er wieder mittendrin, diesmal in Braunschweig, Wolfsburg, Bad Harzburg oder Berlin. Dort wird er im Jahr 2000 mit 64 Jahren der „offizielle Hauptmann von Köpenick“ und führt beim Volksfest „Köpenicker Sommer“ den Festumzug an. Einer der Höhepunkte seiner Karriere, findet Stiegler. Denn er gibt den streitbaren Hauptmann bei vielen Veranstaltungen sogar in Straßburg, Brüssel, Prag, Göteborg oder Wien.

2003 schließlich zieht der Wahlberliner nach Aurich in Ostfriesland um, moderiert beim dortigen Radio etliche Sendungen, begleitet als Sprecher Videoproduktionen und unterstützt die Kunstschule Aurich. Einen Termin außerhalb seines Wirkungskreises gibt Stiegler aber auch dann nicht auf. Immer noch kommt er vier bis sechs Mal im Jahr nach Gardelegen, „um meinen Kaffeeklatsch“ zu moderieren, nimmt viereinhalb Stunden Fahrt auf sich. Es muss einfach Liebe sein – auch seinerseits.

Und das leugnet Stiegler auch nicht: Es sei tatsächlich „diese Freundlichkeit und Herzlichkeit“ der Gardeleger, die ihn gern herkommen lässt. „Ich freue mich immer, wenn ich in meinen Terminplaner sehe, dass Gardelegen drin steht.“

Die Gardeleger wiederum lieben ihn für genau die selben Eigenschaften. Und natürlich für seinen Humor und seine coolen Sprüche: „Drei Minuten Lachen ersetzt eine viertel Stunde Frühsport“ zum Beispiel, „Das ist heute der 100. Kaffeeklatsch – mein Gott, haben wir uns gut gehalten“ oder: „Ich hab gehört, dass Karel Gott als Präsident für sein Land vorgeschlagen wird. Ich trau mich gar nicht, was zu sagen, vielleicht brauchen wir ja auch bald einen neuen Kanzler.“

Nun traut sich der Lieblings-Kaffeeklatsch-Moderator der Gardeleger Senioren aber offensichtlich doch, etwas zu sagen: nämlich Tschüss. Am Donnerstagnachmittag ab 15 Uhr werden deshalb auf und vorm Plaudersofa auf der Bühne im Schützenhaus sicher einige Tränen kullern. Karten gibt es an der Tageskasse.