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Prozess Totaler Ausraster im Einkaufsmarkt

Zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe wegen Vollrausches wurde ein Gardeleger verurteilt. Er hatte in einem Markt randaliert.

Von Ilka Marten 31.05.2017, 03:00

Gardelegen l Er hatte randaliert, bedroht, beleidigt und sich selbst dabei verletzt. Der Auftritt eines 20-jährigen Gardelegers im vergangenen November blieb allen Beteiligten – Mitarbeitern des Einkaufsmarktes, Kunden und Polizisten – in genauer Erinnerung. Angeklagt war der Mann wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

An einem Montagnachmittag war der polizeibekannte junge Mann, der eigentlich sowieso wegen Diebstahls Hausverbot in dem Geschäft hatte, an die Kasse getreten, um Bier zu bezahlen. Die Verkäuferin bat um seinen Ausweis, doch diesen hatte er nicht dabei, also blieb das Bier stehen. Wütend verließ der Gardeleger den Laden und beschimpfte die Kassiererin im Weggehen als „blöde Kuh und dumme Gans“. Doch er kam ein zweites Mal in den Markt – und rastete richtig aus. „Von null auf hundert in drei Sekunden“, schilderte die Marktleiterin im Zeugenstand. Sie selbst wurde von ihm gestoßen, geschubst und auf den Oberarm geschlagen. „Ich habe das in dem Moment gar nicht realisiert“, so die 47-Jährige.

Ihre Kollegin an der Kasse konnte das allerdings genau schildern. In seiner Raserei warf der 20-Jährige, der barfuß unterwegs war, Tabakbüchsen aus den Regalen, knickte einen Kassenbildschirm ab, zerrte das Kassenband hervor, trat gegen eine Kassenabsperrung und schließlich gegen die elektronische Sicherungsanlage, so dass diese umknickte. Er selbst erlitt dabei am Fuß eine stark blutende Wunde.

Dann schritten Kunden ein: Drei Männer knieten sich auf den Randalierer und hielten ihn fest, bis die Polizei kam. „Wie so ein Geisteskranker hat er auf die Diebstahlssicherung eingetreten. Er hat rumgebrüllt und sich gewehrt. Einem Mann hat er ins Bein gebissen“, schilderte der Zeuge, der als Erster einschritt.

Auch zwei Polizeibeamte hatten Mühe, den 20-Jährigen unter Kontrolle zu bekommen, trotz Handschellen. Im Polizeibulli trat der 20-Jährige weiter wild um sich, all das mit einer stark blutenden Fußwunde. „Das Fahrzeug sah aus wie Modder“, sagte ein Beamter. Fotze, Kinderficker, Wichser – all diese Worte schleuderte er den Polizisten entgegen, während er mit Handschellen und angeschnallt im Polizeifahrzeug saß.

Dem zweiten Beamten drohte er, ihn und seine Familie umzubringen. „Er sagte, meine Tochter wird irgendwann tot auf dem Bordstein liegen“, berichtete der Beamte. Der Angeklagte und die Tochter des Polizisten hatten vor Jahren die gleiche Schule besucht. Erst mit Fußfesseln gelang es schließlich, den Mann unter Kontrolle zu bringen, so dass im Gardeleger Altmark-Klinikum zunächst seine Fußwunde genäht werden konnte. Anschließend ging es gleich weiter ins Fachklinikum nach Uchtspringe.

Als Staatsanwältin und Zeugen den Nachmittag schilderten, liefen dem Angeklagten Tränen übers Gesicht. „Ich sehe es wohl, aber ich glaube es kaum“, so Richter Axel Bormann. Und er fügte hinzu: „Sie machen schon Mist, seit ich Sie kenne. Das ist die Krönung des Mistes.“

Auf die Anmerkung des Richters, dass die Augen des Angeklagten „so verstrahlt aussehen“, entgegnete er: „Weil ich geweint habe.“ Aber: Am Abend vor der Verhandlung habe er „drei Köpfe Cannabis“ geraucht, „aber mit Alkohol habe ich aufgehört“, beteuerte der 20-Jährige. Auch am Tattag hatte der Mann Alkohol getrunken, schon während der Arbeitszeit. Eine Blutprobe ergab später einen Wert von 1,1 Promille . „Wir haben den Geburtstag eines Kollegen gefeiert, mit Glühwein mit Schuss“, erzählte er. Zuvor hatte er zudem Cannabis geraucht. Diese Mischung führte augenscheinlich zu dem Ausraster im Markt, an den der Angeklagte keine Erinnerung mehr hatte, weswegen eine Verurteilung wegen Vollrausches in Betracht kam. „Heute diskutieren wir über Knast“, führte der Richter dem jungen Mann vor Augen.

Flehend und weinerlich wandte sich der Angeklagte an die Jugendgerichtshelferin: „Helfen Sie mir!“ Sie schilderte die Kinder- und Jugendzeit des Gardelegers mit zahlreichen Heimaufenthalten, Verhaltenstherapien, Schulverweigerung und großen Schwierigkeiten im Elternhaus. Außerdem hatte er bereits 13 mal mit der Justiz zu tun. Vier Wochen hatte er bereits wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte im Dauerarrest gesessen. Weitere Taten waren Diebstähle, Hehlerei, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch, viele Verfahren davon waren eingestellt worden.

Das Jugendschöffengericht verurteilte den Gardeleger nun wegen Vollrausches zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Außerdem muss er vier Wochen im Dauerarrest absitzen. „Als Warnschuss“, so Richter Axel Bormann. Weitere Auflage für den Mann: eine ambulante Drogentherapie.