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Urteil Tierquälerei auf dem Bauernhof

Weil sie ihre Tiere hungern ließen, sind zwei Landwirte aus Kalbe nun vorbestraft.

Von Gesine Biermann 23.08.2016, 22:00

Gardelegen l Die Anklageschrift hört sich an wie ein Auszug aus dem Lexikon für Rinderkrankheiten. Dennoch bleiben die beiden Angeklagten recht ungerührt, als die Staatsanwältin vor wenigen Tagen im Gardeleger Amtsgericht beschreibt, was Mitarbeiter des Kreisveterinärmtes im April 2014 in einem altmärkischen Betrieb vorfanden. Zum Beispiel ein Rind mit „eitriger Gebärmutter und Euterentzündung, Hautgeschwüren und unbehandelter Ballenfäule.“

Ein weiteres, „deutlich abgemagertes Tier“ litt unter Klauenräude, einer hochgradigen Darmerkrankung und war wundgelegen. Ein anderes war nach einem Scheidenvorfall beim Kalben nicht ärztlich behandelt worden. Für alle drei kam jede Rettung zu spät. Sie mussten getötet werden, um ihnen weitere Schmerzen zu ersparen.

Es passiere eben „schon mal“, dass ein Rind sterbe, kommentiert der ältere der beiden Angeklagten später lakonisch. Dass die Sterberate in seinem Betrieb aber offenbar schon vor jenem Tag im April deutlich höher war, als anderenorts, schien den 67-Jährigen dabei kalt zu lassen.

16 tote, teilweise stark verweste Rinder hatten sich im Winter 2013/14 nämlich bereits hinter dem Stall angesammelt, als endlich das Abdeckerunternehmen gerufen wurde. Dessen Mitarbeiter meldete die Tatsache schließlich an den Landkreis weiter, der daraufhin mit einer umfangreichen Kontrolle und einem Tierhalteverbot reagierte.

Doch wie konnte es zu diesem verheerenden Zustand der Herde kommen? Redlich bemühte sich der Juniorchef um Erklärungen. So sei das Unternehmen, das Anfang der 90er Jahre mit der Milchproduktion begonnen hatte, in den vergangenen Jahren Stück für Stück in die finanzielle Schieflage geraten. „Es ging irgendwie stetig bergab“, beschreibt der 39-Jährige. Weil Rückzahlungen ausblieben, kündigte 2013 schließlich die Bank die Kredite. „Eigentlich hätten wir die Milchproduktion schon viel früher aufgeben müssen“, gibt er zu.

Eine einmalige Beihilfe lässt die beiden Chefs „kurz durchatmen.“ Danach geht es weiter bergab. Ein letzter Versuch, den Betrieb mit privat geborgtem Geld – rund 31 000 Euro – zu retten, schlägt ebenfalls fehl. Zwar kann zunächst die Insolvenz abgewendet, offene Löhne der Angestellten bezahlt, „und auch mal ein paar Liter Diesel gekauft“ werden. Nachhaltig ist auch diese Aktion nicht.

Wie es bereits im Juni 2013 auf dem Hof der beiden Bauern aussieht, beschreibt in der Verhandlung nämlich Ramon Rulff, als Tierarzt beim Altmarkkreis im Bereich Tierseuchenbekämpfung und Tierschutz angestellt. Er hatte bei einer ersten Kontrolle kurz nach seinem Amtsantritt unter anderem „teilweise mit Kot verdreckte Tränken“ festgestellt, bei den Jungrindern seien Lauf- und Liegeflächen stark verschmutzt vorgefunden worden, „stark verkotet, zugedreckt und schon verschimmelt“ sei es im Bullenstall gewesen.

Dort gab es sogar „Schimmelnester in der Einstreu und es roch muffig.“ Verschimmelt sei teilweise auch die Silage gewesen, mit der die Tiere gefüttert worden seien. „Der größte Punkt war aber, dass rund die Hälfte aller Tiere mittel- und hochgradig lahm ging“, so Rulff. Und das sei neben dem Dreck und der Feuchte auf den Stallböden eindeutig einer „absolut mangelhaften Klauenpflege“ geschuldet. Der Seniorchef habe immer versichert, dass er das macht. Das sei aber offenbar nie passiert.

Dennoch gibt es für das Unternehmen zunächst nur eine Ermahnung des Amtes mit Fristsetzung von einem Monat zur Mängelbeseitigung.

Als Rulffs Kollegen im August wieder bei den beiden Landwirten vorbeischauen, hat sich indes nichts gravierend verändert. Immer noch sei keine Klauenpflege passiert. Zudem sei der Melkstand extrem verdreckt vorgefunden worden. Dennoch wird das Unternehmen wieder nur abgemahnt. „Wir haben bewusst auf Geldbußen verzichtet“, so Rulff. Angesichts der Milchkrise und der angespannten finanziellen Situation habe man den Leuten nicht noch mehr Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Beim vorletzten Besuch im April 2014 steht indes fest, dass für Pflege oder ärztliche Versorgung der Tiere dennoch kein Geld übrig war. An diesem Tag fand die Kontrolle aufgrund der Anzeige der Tierkadaverentsorgungsfirma statt.

Neben den 16 toten Tieren hinter dem Rinderstall bot sich in den Ställen ein noch schrecklicherer Anblick. So lag im Abkalbstall eine Kuh fest, der Tierarzt war noch nicht informiert. Zwei weitere lebten zwar noch, eine konnte aber nicht mehr gerettet werde. In ihr war nach dem Abkalben die Nachgeburt verblieben. Bei der Sektion habe sich anschließend ergeben, dass das Tier nur noch 239 Kilo wog. Rulff „600 Kilo wären normal.“ In einer anderen Kuh war das Kalb im Leib verendet, sie starb daran. Angesichts dieses Leides sei ihm besonders ein Satz des Seniorchefs im Kopf geblieben, so Rulff: „Er hat gesagt: `Bei mir darf jedes Rind sterben, aber ich werde nichts dagegen oder dafür tun.`“

Etwas dagegen, nämlich gegen weitere Tierquälerei, konnte das Veterinäramt unternehmen. Denn die Behörde hat im April 2014 ein unbefristetes Tierhalteverbot gegen die beiden Bauern verhängt.

Und nun sind die beiden Angeklagten Straftäter: Denn beide wurden zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

Dass sie zur Bewährung ausgesetzt wurde, verdanken die beiden Bauern lediglich der Tatsache, dass sie zuvor mit dem Gesetz nie in Konflikt geraten waren, und er habe auch ihre finanziell angespannte Situation berücksichtigt, so Richter Axel Bormann.

Die massiven Vorwürfe der Anwältin des Seniorchefs gegen den Altmarkkreis, dass die Behörde viel früher hätte reagieren müssen, wollte der Richter indes nicht so stehen lassen. Seiner Ansicht nach sei ausreichend kontrolliert worden, so Bormann. Auch die Angeklagten hätten schließlich von sich aus reagieren und um Hilfe bitte können.

Einen sehr eindrücklichen Satz fand schließlich die Staatsanwältin: „Ich sehe hier wohl die finanziellen Probleme“, hatte sie in ihrem Plädoyer eingeräumt. „Aber die Ställe sauberzumachen und Ordnung zu schaffen, das hätte kein Geld gekostet“, hätte den Tieren aber möglicherweise manches Leid erspart.