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Vorlesetag Mehr als nett - dies literarische Quartett

Eine Lesung mal ganz ohne Schriftstellerbesuch - öffentlich und doch ganz intim - ein Abend voller bezaubernder Überraschungen.

Von Gesine Biermann 24.04.2016, 19:32

Gardelegen l Ein sprechendes Beuteltier, Indianerweisheiten, die große Liebe oder die „Edelvariante der Depression“ – vier Bücher, vier Themen – vier Gardeleger Politiker verraten am Freitagabend in der Gardeleger Bibliothek, was sie gern lesen und damit irgendwie auch ein Stückchen von sich selbst. Eine ungewohnte Situation, selbst für so versierte Rhetoriker wie Gardelegens Bürgermeisterin Mandy Zepig, den Stadtratsvorsitzenden Kai-Michael Neubüser, den Landtagsabgeordneten Andreas Höppner und den Kreistagsabgeordneten Hans-Joachim Becker.

„Ich habe mich länger auf diesen Abend vorbereitet als auf so manche Stadtratssitzung“, gesteht Zepig augenzwinkernd. Die größte Herausforderung sei die Buchauswahl gewesen. Am Ende vertraut die einzige Dame im literarischen Quartett auf ihr Bauchgefühl – oder auf ihre Indianerseele?! Amüsiert erfahren die Besucher nämlich, dass Gardelegens Stadtchefin im Herzen eigentlich eine Squaw ist. Ihr Buch „Wie hätte Winnetou entschieden“ gestattet außerdem manch tiefen Einblick in die Hintergründe ihrer ganz persönlichen Häuptlingsstrategien wie „Liebe deine Jagdgründe!“, „Sprich nie mit gespaltener Zunge“ oder „Hilf dir selbst, dann hilft dir Manitu!“ Auch die Ähnlichkeit so mancher witzigen Anekdote mit Geschichten aus der aktuellen Stadtpolitik ist sicher kein Zufall. „Auch wenn alle einer Meinung sind, können sie unrecht haben“, hören die Gäste kichernd. Für sie jedenfalls ist Zepigs Buchwahl ein großer Spaß.

Aber schließlich sind sie bei ihrem Vortrag auch schon gut eingestimmt. Kai-Michael Neubüser – der als erster Leser das Eis brechen muss – hat nämlich das Känguru mitgebracht. Und dessen absurde Dialoge um den alltäglichen Wahnsinn, die große Politik und kleinen Zankereien mit Autor Marc-Uwe Kling – „die einen haben das Geld, die anderen den Beutel...“ – sorgen an diesem Abend für die ersten Lacher und entspannen die Spannung fühlbar – unter den Gästen übrigens genau so wie unter den Vorlesern. Und auch Neubüsers Lesezeit ist gefühlt irgendwie viel zu schnell vorbei. Ein Zeichen dafür, dass auch er das richtige Buch von seinem Nachttisch mitbrachte. Übrigens ein Geschenk vom Sohn, verrät er am Rande. Offenbar hat man bei Neubüsers Sinn für Humor. Und den braucht schließlich auch ein Kommunalpolitiker des Öfteren.

Dass es nach der Pause dann so gar nicht lustig weitergeht, ist zunächst mal eine Überraschung für das Publikum. Das erwartungsfrohe Lächeln weicht allgemeiner Nachdenklichkeit. Denn Andreas Höppner hat sich ein wirklich ernstes Thema ausgesucht: Burnout. Ein bekanntes Wort, oft verwendet – „Miriam Meckels Buch Brief an mein Leben hat mir persönlich allerdings erst die Krankheit erschlossen“, erzählt Höppner. Schon nach den ersten Sätzen versteht wohl jeder im Publikum, warum. Denn die Autorin – Deutschlands jüngste Professorin, Regierungssprecherin und Staatssekretärin – wird mit Anfang 40 selbst von der „gesellschaftlich anerkannten Edelvariante der Depression“ überrascht. Einprägsam beschreibt sie in ihrem Buch den Beginn der Krankheit. Höppner liest auszugsweise, am Ende dann allerdings komplett den Brief, den die Autorin an ihr eigenes Leben schreibt. Spätestens danach kann man im Raum eine Stecknadel fallen hören.

Und so bleibt dem letzten Vorleser des Abends denn auch genügend Zeit, um in Muße gleich einen ganzen Bücherstapel auszupacken: fünf Mal Heinrich Heine. Doch wer nun einen langen Gedichtvortrag erwartet, wird an diesem Abend gleich noch einmal überrascht. Denn Hans-Joachim Becker führt die Gäste auf wirklich charmante Weise durch das (Liebes)Leben seines Lieblingsschriftstellers. Mit kleinen Geschichten – und natürlich auch Auszügen aus Heines Gedichten, die sich in dem Fall immer um dessen „vier große Lieben“ ranken –, bringt Becker so manchem Zuhörer dem großen deutschen Literaten ganz unerwartet nah. So wie Heine einst „der deutschen Sprache das Mieder gelockert“ habe, lockert Becker auch die Stimmung der Zuhörer noch einmal, sorgt für fröhliches Gelächter und so manches Staunen nach dem Motto: „Ach, das war auch von Heine?“ Kurz: sein Vortrag ist ein bezauberndes Ende eines Abends, der viel mehr war als nur nett. Dieses literarische Quartett sollte auf jeden Fall bald wiederkommen.