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Medizin Plädoyer für die Darmspiegelung

Etwa 1000 Därme pro Jahr untersucht Dr. Jörg Schulze mit Schlauch und Kamera. Der Jerichower Internist im Volksstimme-Interview:

Von Kristin Schulze 30.03.2017, 01:01

Darmkrebs gehört nach Lungen- und Brustkrebs zur häufigsten Todesursache durch Krebs. Darmkrebs ist aber auch die einzige Krebserkrankung, die sich definitiv durch Vorsorge verhindern lässt. Für wen sich eine Darmspiegelung empfiehlt und wie sie abläuft, erklärt der Jerichower Internist Dr. Jörg Schulze Volksstimme-Redakteurin Kristin Schulze im Interview.

Volksstimme: Kaum eine Vorsorge-untersuchung wird so intensiv beworben wie die Darmspiegelung. Warum?

Dr. Jörg Schulze: Darmkrebs ist eine der wenigen Tumorerkrankungen, bei der durch das Auffinden von Vorstufen Krebs verhindert werden kann.

Wie das?

Ein Vergleich macht es sehr deutlich: Brustkrebs lässt sich erst diagnostizieren, wenn man bereits Brustkrebs hat. Beim Darmkrebs ist das anders. Durch Abtragen von Polypen während der Darmspiegelung wird verhindert, dass es überhaupt zu einer Krebserkrankung kommt.

Was ist ein Polyp und entwickelt er sich zwangsläufig zu Krebs?

Der Polyp ist zu Anfang eine gutartige Schleimhautwucherung. Im Laufe der Zeit, wir reden von 10 bis 20 Jahren, entwickelt sich daraus sehr häufig ein bösartiger Krebs.

Um den Darm anzuschauen, wird ein schlauchförmiges Instrument eingeführt und Luft in das Organ geblasen. Gibt es Alternativen zu dieser Prozedur?

Ja, die gibt es. Sie haben aber Nachteile gegenüber der Darmspiegelung.

Erzählen Sie trotzdem etwas über die Alternativen.

Da wäre zum einen der Papierstreifentest zum Aufspüren von Blut im Stuhl. Der Nachteil liegt auf der Hand, nur etwa 20 Prozent der Karzinome werden erkannt. Außerdem reagiert er nicht nur auf menschliches Blut. So kommt es schon mal zum Fehlalarm nach dem Verzehr eines Steaks oder der Einnahme von Vitamin C. Besser ist der immunologische Stuhltest, den ab 1. April auch die Kassen zahlen.

Und dieser Test ist sicherer?

Ja. Er spricht ausschließlich auf menschliches Blut an. Dass er ab 1. April gesetzliche Regelleistung der Krankenkassen wird, ist ein wichtiger Fortschritt. Der Test erkennt 70 Prozent der Karzinome und 25 Prozent der Vorstufen.

Was im Darm wirklich los ist, sieht man aber nur bei der Spiegelung?

Genau. Darin liegt eine Stärke der Koloskopie. Der Darm wird mit einem dünnen, schlauchförmigen Instrument untersucht. Wenn ich einen Polypen entdecke, kann ich ihn bei diesem Eingriff gleich entfernen. Das hat die Koloskopie allen anderen Möglichkeiten der Darmkrebsvorsorge voraus. Die Untersuchung ist nicht schmerzhaft, nur die Vorbereitung ist lästig.

Wie muss sich ein Patient vorbereiten?

Der Darm muss sauber sein, sonst kann ich nichts sehen. Gesäubert wird mit Hilfe einer Abführlösung, die getrunken wird. Zwei bis drei Tage vorher beginnt der Patient, auf bestimmte Nahrungsmittel wie Vollkornbrot zu verzichten. Gegessen werden darf bis zum Mittag am Vortag der Untersuchung. Wichtig ist genug Flüssigkeit. Gut sind Wasser, Saftschorlen und Tee. Schlecht sind Kaffee, Cola und Wein. Je dunkler ein Getränk so ungeeigneter.

Wem empfehlen Sie die Spiegelung?

Die Kasse übernimmt ab dem 50. Lebensjahr den immunologischen Stuhltest, fünf Jahre danach wird die Darmspiegelung empfohlen. Bei Krankheitsfällen in der Familie empfiehlt sich eine frühere Darmspiegelung. Auch bei Angst vor Krebs ist die Untersuchung sinnvoll. Viele Leute gehen erst zum Arzt, wenn etwas weh tut. Doch wenn Symptome wie Blut im Stuhl, Bauchschmerzen oder Stuhlunregelmäßigkeiten auftreten, ist der Krebs oft schon fortgeschritten. Die Prognose ist dann viel schlechter als zu einem früheren Zeitpunkt.

Was, wenn bei der Untersuchung etwas gefunden wird?

Polypen werden entfernt. Sie finden sich in etwa 30 Prozent der untersuchten Fälle. Dazu benutze ich eine Zange oder Elektroschlinge. Eine endgültige Beurteilung der Polypen erfolgt unter dem Mikroskop. In der Regel sind sie gutartig und haben lediglich eine Kontrolluntersuchung nach einigen Jahren zur Folge. Sind die Polypen zum Abtragen zu groß oder liegt ein Karzinom vor, wird operiert, zum Beispiel im Stendaler Darmkrebszentrum.

Wie riskant ist eine Darmspiegelung?

Nicht riskant. Es ist ein Routineeingriff, der nur von Spezialisten durchgeführt wird. Natürlich verbleibt wie bei jedem Eingriff ein Restrisiko. In ganz seltenen Fällen kann es zu Blutungen oder Verletzungen der Darmwand kommen. Das betrifft etwa einen von 4000 Patienten. Der Nutzen der Untersuchung überwiegt aber auf jeden Fall.

Dann sollte Ihr letzter Satz diesem Nutzen gelten.

Die Darmspiegelung ist die einzige Vorsorgeuntersuchung, die eine Krebserkankung verhindern kann. Jeder, der einen Menschen durch Krebs verloren hat, weiß, was das bedeutet. Wird der Krebs erst im fortgeschrittenen Stadium erkannt, hilft meist keine der heute verfügbaren Therapien mehr, ihn zu heilen.