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Sonderschau Wenn der Staat das Recht beugt ...

Die Ausstellung „Justiz im Nationalsozialismus" im Genthiner Bismarck-Gymnasium ist eröffnet.

Von Mike Fleske 25.01.2017, 10:00

Genthin l Es war eine würdevolle und bewegende Auftaktveranstaltung in der Aula des Hauses I des Gymnasiums. Unter großem Publikumsinteresse wurde am Montag die Ausstellung „Justiz im Nationalsozialismus. Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes“ eröffnet. Unter den Gästen befanden sich zahlreiche Schüler, Vertreter der örtlichen Politik, Schulleiter, Heimatforscher und Mitarbeiter der Gedenkstätten.

Auf den Schautafeln wird die nationalsozialistische Justizgeschichte in Sachsen-Anhalt veranschaulicht. Den Besuchern wird vor Augen geführt, zu welchen Exzessen die Justiz in einem totalitären System fähig ist. Das Projekt wird vom Justizministerium, der Stiftung Gedenkstätten, der Landeszentrale für Politische Bildung und der Heinrich-Böll-Stiftung getragen. Genthin ist bereits der 22. Ort, an dem die Ausstellung gezeigt wird und doch ist es eine Premiere. Nachdem die Schau vor allem Land - und Amtsgerichte durchlief, ist sie zum ersten Mal in einem Schulgebäude zu sehen. Zu verdanken ist dies Schulleiter Volker Schütte, der in seinen Worten, die Gefahren der Diktaturen für die Justiz deutlich machte.

„Die Beugung und der Bruch des Rechts waren Teile des Besteckkastens der Diktaturen unabhängig davon, ob sie kommunistisch, faschistisch oder nationalsozialistisch waren.“ Mit der Beugung des Rechts beginne jede Diktatur, das sei auch heute noch so. Doch Schütte machte in den modernen, digital gesteuerten totalitären Regime einen Unterschied aus: „In diesem System gibt es keinen Rest Mitmenschlichkeit.“

Die ausgeklügelten Computeralgorithmen funktionierten völlig ohne Gewissen. „Auch in offenen und liberalen Systemen wird es so möglich, jeden Einzelnen von uns zu überwachen, ohne das wir es merken.“ Die Ausstellung sei wichtig, da sich die künftige Generation der digitalen Diktatur erwehren müsse.

Anne-Marie Keding, Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt, erinnerte in ihren Grußworten an die historische Bedeutung des Saales. Dort wurde 1940 das Urteil gegen die Reichsbahnangestellten gesprochen, die für das schwere Eisenbahnunglück vom 22. Dezember 1939 in Genthin verantwortlich gemacht wurden.

Sie rief zudem die mehr als 30 000 Todesurteile ins Gedächtnis, die vor Militärgerichten gesprochen wurden. Vor Gericht konnte schon kommen, wer den Militärdienst verweigerte. Etwa aus Glaubensgründen wie beim 17-jährigen Wolfgang Kämpfe, der den Zeugen Jehovas angehörte. „1943 wurde er vor dem Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und 1944 hingerichtet.“ Keding machte deutlich: „Es ist der Einzelne, der handelt, der das System stärkt, wenn er mitmacht.“ Deshalb sei es gut, dass die Ausstellung in einer Schule gezeigt werde und das sich Schülerguides bereiterklärt haben, durch die schwierige Materie zu leiten.“

Den Ausstellungsort nahm auch Bernhard Braun, Vertreter von Landrat Steffen Burchhardt, zum Anlass zu mahnen: „Sie, die Schüler sind unsere Hoffnung. Mit dem Blick auf die Vergangenheit müssten Sie in der Gegenwart für die Zukunft lernen. Damit Sie Freiheit, Rechte und unseren Staat verteidigen können.“ Auch wenn das Geschehen in der NS-Zeit für uns unwirklich erscheine, wirke diese Geschichte bis in unsere Zeit hinein.

Dr. Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, machte deutlich, dass es auch aktuell wieder Bestrebungen gäbe, die in lang gewachsene Erinnerungskultur in Deutschland infrage zu stellen. Ohne ihn mit Namen zu nennen, ging er auf den AfD-Politiker Björn Höcke ein. „Wer ein Ende des Schuld-Kultes fordert, zeigt, dass er sich aus dem demokratischen System verabschiedet hat.“ Langer sah in Genthin ein großes Interesse bei Schülern und Lehrern, die sich anhand der in den vergangenen Jahren immer wieder überarbeiten Ausstellung sehr umfangreich mit dem Thema beschäftigen werden.

Bewegend war der Auftritt des 81-jährigen Axel Neubauer, der extra für die Ausstellungseröffnung aus Wülfrath angereist war. Er hat als Vierjähriger das Eisenbahnunglück von Genthin miterlebt. Seine Mutter war als DRK-Helferin im Einsatz. „Vorher war sie eine liebevolle Frau, die uns oft in den Arm genommen hat, nach ihrem Einsatz als Helferin war sie traumatisiert.“ Sie habe die Kinder bei jeder Kleinigkeit bestraft, oft gab es Prügel mit dem Rohrstock. „Ein solches Unglück verändert die Menschen“, stellte Neubauer in seiner besonders von den Schülern sehr interessiert verfolgten Schilderung fest.

Er selbst sei nicht nur von der Ausstellung, sondern auch vom musikalischen Rahmen bewegt gewesen. Die Schüler der 12. Klasse hatten unter der Leitung von Musiklehrerin Angelika Döbberthin ein Programm vorbereitet, bei dem unter anderem ein jüdisches Friedenslied und der Gesang der „Moorsoldaten“ Eingang fanden. Die Ausstellung ist Die Ausstellung ist bis 3. Februar sowie vom 13. Februar bis 24. Februar im Bismarck-Gymnasium zu sehen. Geöffnet ist sie Montag bis Donnerstag von 9 bis 15 Uhr und Freitag von 9 bis 13 Uhr.

Nach Vereinbarung werden Führungen angeboten. Interessenten können sich im Sekretariat des Gymnasiums unter der Telefonnummer 039 33 / 23 18 oder per E-Mail: kontakt(at)gym-bismarck.bildung-lsa.de anmelden.