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Nationalpark Erfolg einer „Sturzgeburt“

Die Entscheidung für den nationalpark Harz war eine „Sturzgeburt“. Allerdings im positiven Sinn.

Von Ingmar Mehlhose 30.09.2015, 01:01

Wernigerode l „Das war eine Sturzgeburt, aber keine schlechte. Denn ohne sie wäre die Familie der Harzer Nationalparke nicht entstanden“, sagt Friedhart Knolle.

Der Pressesprecher der Verwaltung für das Schutzgebiet in Wernigerode zeigt die Geburtsurkunde, das Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1. Oktober 1990, Sonderdruck Nr. 1469. Dessen Titel lautet „Verordnung über die Festsetzung des Nationalparkes Hochharz“ Gefeiert werde das Jubiläum nicht. Dafür gebe es Anfang Januar 2016 in der Goslarer Kaiserpfalz einen offiziellen Festakt zum zehnten Jahrestag der Nationalpark-Fusion.

Von vielen werde bis heute behauptet, die Gründung 1990 habe einen entscheidenden Geburtsfehler gehabt, weil sie noch zu DDR-Zeiten ohne breite Beteiligung und somit undemokratisch erfolgte. Friedhart Knolle: „Von weiter weg betrachtet, stimmt das so nicht.“ Es habe auch in Diktaturen viele ausgezeichnete Nationalparke gegeben, so zum Beispiel auf dem Gebiet der einstigen osteuropäischen Länder.

Die Makel damals seien ganz andere gewesen. Der 60-Jährige: „Er war zu klein und er beschränkte sich auf den Brocken und seine Umgebung. Das war zu kurz gesprungen.“ Aber: „Aus meiner Sicht wurden alle Schwächen geheilt.“ Das eigentlich Bemerkenswerte sei, dass das Gesetzblatt wortwörtlich in den Einigungsvertrag übernommen wurde. Knolle: „Es wird heute gern vergessen, dass es damit Verfassungsrang bekommen hat.“ Das damals noch selbständige Schierke habe eine Klage erwogen. Sie wäre erfolglos gewesen. Immerhin hätten die Kritiker zunächst die Aufnahme des Elendstals mit seinen wertvollen Buchenbeständen in das Schutzgebiet verhindert.

Der Parksprecher zollt den zu jener Zeit verantwortlichen Entscheidungsträgern Respekt. Er sagt: „Wir in Niedersachsen hätten wohl nicht die Kraft und die Idee gehabt.“ Das Thema sei zwar diskutiert, „aber nicht ernst genommen worden“. Erst 1994 konnte der Nationalpark Harz im Nachbar-Bundesland aus der Taufe gehoben werden. „Extrem weitsichtig“ sei es deshalb gewesen, das Programm am Runden Tisch zu entwickeln und per Ministerratsbeschluss bereits am 16. März 1990 auf den Weg zu bringen. Wobei der Start hier in vieler Hinsicht äußerst schwierig gewesen sei. Und mitunter „völlig skurril“. So zum Beispiel bei der Erfassung der Flächen. Knolle: „Die DDR hatte das Grenzgebiet kartografisch verzerrt.“ An einigen Stellen habe man per Hand nacharbeiten müssen. „Deshalb hat die Bundeswehr mit Militärkarten geholfen. Das ist verbürgt.“

Seit der Unterzeichnung des Staatsvertrages zum länderübergreifenden Nationalpark Harz durch die damaligen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen) und Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt) am 5. Januar 2006 in Wernigerode sind die beiden Schutzgebiete vereint. Friedhart Knolle: „Der Park hat sich seither respektabel entwickelt und ist international angesehen.“

In der Bekanntheitsliste stehe das 24 759 Hektar große Areal hierzulande aktuell schon auf Rang drei. An der Spitze rangiere der bereits 1970 als ältester deutscher Nationalpark gegründete Bayerische Wald, gemeinsam gefolgt von den drei Wattenmeer-Schutzgebieten in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg.

Zwischen Bad Harzburg beziehungsweise Ilsenburg im Norden über die Hochlagen um den Brocken und Torfhaus bis nach Herzberg und zur Odertalsperre im Süden befinde sich die größte Waldkernzone eines Nationalparks in der Bundesrepublik. Der Pressesprecher: „Da bin ich stolz drauf. Trotz Borkenkäferbefall, Brockenbahnbau und Massentourismus.“ Und: „Wir haben große Schritte gemacht. Wenn man bedenkt, ein Waldzyklus läuft über hunderte von Jahren, dann stehen wir erst am Anfang.“

Alternativen seinerzeit seien Bauanträge einer Fastfoodkette und für Windkraftanlagen auf dem höchsten Gipfel Norddeutschlands gewesen. Knolle: „Die lagen vor.“

„Jährlich über zwei Millionen Besucher auf dem Brocken, das ist alles Quatsch.“

Friedhart Knolle, Parksprecher

Wichtig sei ihm beim Rückblick auf die 25 Jahre der ökonomische Aspekt. Prof. Dr. Hubert Job von der Universität Würzburg habe durch Feldstudien seit 2012 erstmals wissenschaftlich belegt, dass das Schutzgebiet eine hohe Wertschöpfung für die Region generiert. Dies werde am Ausgabeverhalten der Gäste deutlich. Dabei seien ausschließlich solche Besucher berücksichtigt worden, für die der Nationalpark der entscheidende Grund für die Wahl ihres Reisezieles war. Friedhart Knolle: „Daraus ergeben sich Einkommenseffekte in Höhe von rund neun Millionen Euro nur durch uns.“ Dies wiederum bedeute etwa 530 sogenannte Einkommensäquivalente, zu Deutsch Arbeitsplätze vor Ort.

Besagte Untersuchung habe allerdings noch etwas anderes zu Tage gefördert. Der 60-Jährige: „Es wurde mal kommuniziert, jährlich gäbe es über zwei Millionen Besucher auf dem Brocken. Das ist alles Quatsch.“ Tatsächlich seien der Gipfel und das Torfhaus mit jeweils um die 600 000 Gästen „die beiden beliebtesten Punkte im Park“. Für das gesamte Gebiet liege die Zahl bei ungefähr 2,5 Millionen.