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Gedenken Fußspuren vor dem Domportal

Der Deportation jüdischer Bürger ist in Halberstadt gedacht worden. Ein Nachfahre reiste aus Israel zu der Veranstaltung an.

Von Gerald Eggert 13.04.2016, 23:01

Halberstadt l 102 unterschiedlich große Fußabdruckpaare aus hautfarbenem Moosgummi klebten Mädchen und Jungen der Grundschule „Miriam Lundner“ am 12. April auf das Pflaster vor dem Domportal. 74 Jahre zuvor, an dem Sonntag nach Ostern 1942, waren 102 jüdische Männer, Frauen und Kinder an diesen Ort, wo sich das Einwohnermeldeamt der Stadt befand, befohlen worden.

„Sie alle haben in dieser Stadt gelebt, hatten hier Familie, Wohnung und Arbeit“, erklärte Schulleiterin Bettina Oelmann den über 150 Schülerinnen und Schülern der 1. bis 4. Klassen, „die letzten jüdischen Einwohner Halberstadts mussten alles zurücklassen und wurden von hier aus in aller Öffentlichkeit zum Bahnhof geführt, von dort mit dem Zug nach Magdeburg und zwei Tage später ins Warschauer Ghetto transportiert, wo sich ihr Weg verliert. Niemand von ihnen überlebte.“

 

Es gebe für keinen dieser Deportierten einen Grabstein. Dafür seien ihre Namen in die Steine der Erinnerung geschlagen worden und sollen nicht nur an sie erinnern, sondern auch mahnen, dass so etwas Schreckliches niemals wieder geschehen darf, sagte die Schulleiterin. „Auch Miriam Lundner, deren Namen unsere Schule trägt, stand hier mit ihren Eltern und Geschwistern. Es war ihr vierter Geburtstag.“

Von der Familie des Rektors der Jüdischen Schule überlebte nur Miriams älteste Schwester Beate, die sich zu der Zeit bereits in England befand. „Ihr jüngster Sohn, Benjamin Pappenheim, ist heute erneut nach Halberstadt gekommen, euch in unserer Schule zu besuchen, mit euch zu sprechen und gemeinsam mit euch hier zu gedenken.“

Benjamin Pappenheim wurde wie seine Mutter Lehrer und hat in ihrem Auftrag, aber auch aus eigenem Interesse mehrfach Halberstadt und die Grundschule „Miriam Lundner“ besucht. Er stellte sich an diesem Tag erneut den Fragen der Kinder, sprach über seine Familie und sein Leben.

Auch Werner Hartmann hatte viele Fragen zu beantworten. Der Ehrenbürger der Stadt und Pate der Grundschule, erinnerte sich daran, dass er aus dem Krieg zurückgekehrt, nicht nur erschüttert war über die zerstörte Stadt, sondern auch über das Schicksal der Halberstädter Juden.

„Ich kannte nicht viele, erinnerte mich aber zum Beispiel an Gerda, die Tochter des Küsters der Synagoge, und Fritz Ney, der bei Zirkus Sarasani als Anwalt gearbeitet hat und in Brasilien geblieben war“, sagte Hartmann und berichtete, dass er sich ab 1952 intensiv mit der Geschichte der Halberstädter Juden auseinandersetzte, Kontakte zu Überlebenden in Israel und anderen Ländern herstellte, forschte und Bücher schrieb. Er berichtete, dass in den 1980er Jahre ein Denkmal in Form einer geborstenen Menora vor dem Dom entstand, das vom Metallbildhauer Johann Peter Hinz geschaffen worden war. Damit wurde an die in den Tod geschickten jüdischen Mitbürger erinnert, bevor Bildhauer Daniel Priese Anfang der 1990er Jahre die „Steine der Erinnerung“ schuf.

Diese Steine schmückten die Kinder mit Blumengirlanden, legten Blumen neben den Fußspuren und auf den Steinen nieder und lasen die vielen Namen auf den Sandsteinblöcken, darunter den von Miriam Lundner, geboren am 12. April 1938.

Am Nachmittag kamen einige der Schüler wieder zu den Steinen der Erinnerung, um an der offiziellen Gedenkfeier teilzunehmen. Hannah Becker vom Verein zur Bewahrung des jüdischen Erbes erinnerte an die jüdische Schule, die es bis 1942 in Halberstadt gab, an deren Gründung und Besonderheit. War sie doch eine der ersten deutschlandweit beachteten Schulen, die nicht nur gesetzestreues jüdisches Leben vermittelte, sondern auch Elementarunterricht erteilte – also auch Mathematik und Naturwissenschaften vermittelte.

Benjamin Pappenheim, der sich in Deutsch an die Zuhörer wandte, mahnte, die Augen nicht zu verschließen vor dem, was vor der eigenen Haustür geschieht. Man solle nicht nur auf Elend und Ungerechtigkeiten in weiter Ferne blicken, sondern auch darauf achten, was im eigenen Land, der eigenen Stadt vor sich gehe.

Musikalisch anspruchsvoll umrahmt wurde das Gedenken von der Chorgemeinschaft Halberstadt.