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Alte Kupferhütte Krebsfälle: Verein plant Befragung

Ob es im Raum Ilsenburg gehäuft Krebsfälle und eine Verbindung zur alten Kupferhütte gibt, soll mit einer Befragung geklärt werden.

Von Dennis Lotzmann 22.02.2018, 00:01

Ilsenburg/Drübeck l Keine panikartigen Reaktionen, aber konsequentes Dranbleiben am Thema und der sich daraus ergebenden Fragestellungen: Treten in der Harzregion rund um Ilsenburg, Drübeck und Teilen der Gemeinde Nordharz überdurchschnittlich häufig Krebsfälle auf? Und stehen sie womöglich in direktem Zusammenhang mit der bis 1990 in Ilsenburg betriebenen Kupferhütte? Avery Kolle vom Verein für krebskranke Kinder Harz, der diesen Zusammenhang ganz klar sieht, bereitet jetzt eine Einwohnerbefragung vor, um zumindest hinsichtlich der Zahl der Krankheitsfälle belastbare und mit anderen Regionen vergleichbare Fakten zu erhalten.

Dabei setzt Kolle aufs Tempo. Noch im ersten Halbjahr dieses Jahres soll jene große Umfrage starten – einerseits in der Harzregion rund um Ilsenburg, andererseits in einer nicht von vergleichbarer Industrie belasteten ähnlich großen und damit vergleichbaren Region. Letztere soll die Basisdaten liefern für die alles entscheidende Frage, ob im Raum Ilsenburg tatsächlich überdurchschnittlich viele Menschen an Krebs erkranken. Unterstützt wird der Verein dabei von Sponsoren aus der Region.

Im Kern, erklärt Avery Kolle, gehe es darum, möglichst alle im Raum Ilsenburg, Drübeck, Darlingerode und Teilen der Gemeinde Nordharz lebenden Menschen anzusprechen und zu befragen. Er rechnet mit etwa 11.000 Menschen. Das grobe Frage-Gerüst stehe bereits: Gab oder gibt es in ihrer Familie Krebsfälle? Wenn ja – welche und wann? Und: Haben Sie und Ihre Familie Wurzeln in der Region oder seit wann leben Sie hier?

Letztere Frage ist aus Kolles Sicht wichtig, weil er keine aktuellen Ursachen für die Krebsfälle sieht, sondern stattdessen Langzeitfolgewirkungen aus früheren Jahrzehnten. „Ich vermute, dass Kinder, die hier aufgewachsen sind und jetzt als junge Erwachsene Kinder bekommen, die Ursachen für die gehäuften Krankheitsfälle in sich tragen“, skizziert der Vereinschef seine Befürchtung.

Die Kupferhütte, die sich einst auf dem Areal des heutigen Industrieparks Ilsenburg befand, war eine Dreckschleuder sondergleichen. Neben Schwermetallen und Chemikalien, die zum Einsatz kamen, erinnern sich Anwohner an tiefschwarze Wolken, die vor allem nachts ausgestoßen wurden und oft in Richtung Drübeck/Darlingerode zogen. Deren Ursache dürfte auch im Recyceln alter Kupferkabel zu suchen sein. Diese wurden oft samt PVC-Isolation eingeschmolzen, dabei dürften auch hochgiftige Dioxine entstanden sein.

Ob dies mit der aktuellen Häufung von Krankheitsfällen zu tun hat, ist bislang jedoch nicht belegt. Kolle erinnert aber an die aus seiner Sicht alarmierende Entwicklung der vergangenen Monate: Vier Mädchen mit Krebs im vorigen Jahr allein im Raum Ilsenburg, davon zwei mit Leukämie. Ein Kind sei kürzlich gestorben. Hinzu komme eine Häufung von Trisomie-21-Fällen bei jungen Eltern.

Während sich eine früher in Ilsenburg tätige Kinderärztin von Kolles Verdacht nicht überrascht zeigt – „Derartige Spätfolgen würden mich nicht verwundern“ – reagiert man im Ilsenburger Rathaus eher verschnupft auf Kolles klare Worte und die jüngste Berichterstattung in der Volksstimme.

„Wir wissen um den Verdacht, es gab auch schon zwei Treffen mit Herrn Kolle“, lässt Vize-Bürgermeisterin Silke Niemzok wissen. Mit am Tisch säßen Umwelt- und Gesundheitsamt sowie die in den 1990er Jahren mit der Sanierung des Kupferhüttengeländes beauftragte Firma. „Wir wollen das Thema nicht unter dem Deckel halten, brauchen aber erst mal fundierte Fakten. Bislang war es uns für den Gang in die Öffentlichkeit zu früh“, so Niemzok. Nun würden ohne Grund Ängste geweckt.

Kolle ist gleichwohl überzeugt, dass sein Schritt in die Offensive richtig sei. „Es kursieren hier verdammt viele Gerüchte. Viele Fragen, die mich in den vergangenen Tagen erreicht haben, belegen auch, dass viele Leute grundlos falsche Ängste haben. Deshalb ist die sachliche Information so wichtig“, kontert der 41-Jährige. So sei es aus seiner Sicht beispielsweise unnötig, Kinder aus der Kita abzumelden oder gar Hals über Kopf aus der Region wegzuziehen, weil die Ursachen eben viele Jahre zurückliegen. „Wir sind es den Leuten aber schuldig, den Fragen nun schnell und konsequent nachzugehen.“

Dass die Befürchtungen längst nicht nur Avery Kolle bewegen, zeigen Leser-Reaktionen. So hat beispielsweise Fritz Abel aus Drübeck daran erinnert, dass es nicht nur im benannten Bereich des Streithölzer Weges in Drübeck auffällig viele Krebsfälle unter Erwachsenen gebe, sondern auch im weiter südöstlich folgenden Bereich Osterbrink.