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Bergretter Neuanfang mitten im Leben

Uwe George ist seit Jahren bei der Bergwacht Thale aktiv. Nun vollzieht der Nachrichtentechniker mitten im Leben eine berufliche Korrektur.

Von Dennis Lotzmann 26.12.2017, 06:12

Ballenstedt/Quedlinburg l Der Spruch ist eher salopper Natur – bei Uwe George trifft er jedoch vollends zu: Der 46-Jährige ist unheilbar infiziert. Vom Rettungsvirus. Wenn es darum geht, anderen Menschen die helfende Hand entgegenzustrecken, ist der Quedlinburger voll in seinem Element. Seit 15 Jahren verknüpft er dabei seine persönliche Passion als Bergkletterer mit der Herausforderung, Menschen aus schwierigen Situationen zu retten.

Uwe George ist Mitglied der Bergwachtgruppe Thale und dort seit Jahren eine tragende Säule im Leitungsgremium. Nun setzt der gebürtige Wippraer (Kreis Mansfeld-Südharz) beruflich alles auf eine Karte. Er hat Datenkabeln, Prüfplatz und Service-Center bei der Deutschen Telekom ade gesagt und stellt sich mit 46 Jahren noch mal einer völlig neuen beruflichen Herausforderung.

„Ich habe im vorigen Jahr zunächst eine dreimonatige Ausbildung als Rettungssanitäter absolviert. Nun folgt die dreijährige Berufsausbildung zum Notfallsanitäter.“ Die Zielmarke ist gesteckt: Ab 2020 will Uwe George mit fast 50 Lebensjahren im Rettungswagen mitfahren oder irgendwo in der Notaufnahme einer Klinik arbeiten.

Weil er sich damit im zweiten Anlauf einen Jugendtraum erfüllt – „ich wollte ursprünglich mal Krankenpfleger werden“ – ist der Quedlinburger zu einigen Zugeständnissen bereit und weiß durchaus um seinen Status als Exot: „Ich bin mit meinen 46 Jahren mit Abstand der Älteste in der Klasse.“ Mehr noch: Die Mitstreiter im Team, die zusammen mit ihm an der Landesrettungsschule von ASB und DRK in Magdeburg die Schulbank drücken, könnten letztlich seine Kinder sein. „Einer war mal Klassenkamerad von einem meiner Söhne“, verrät Uwe George.

Um sich seinen beruflichen Traum zu erfüllen, macht sich der Hobbysportler auch privat ziemlich lang: Er hat, wie er berichtet, den sicheren und gut dotierten Job beim magentafarbenen Riesen mit allen Konsequenzen gegen drei Lehrjahre eingetauscht. Und die sind – erstens – keine Herrenjahre und haben – zweitens – längst kein Finale mit Erfolgsgarantie. „Am Ende stehen die Prüfungen. Wenn ich die vergeige, war alles umsonst.“ Uwe George geht aber mit viel Optimismus ans Werk. Obendrein lebt er drei Jahre lang von Lehrlingsvergütung und finanziellen Rücklagen.

Dass es ihn in den 1980er Jahren zur Deutschen Post der DDR verschlagen hat, war seinem Hobby geschuldet: „Ich war Amateurfunker und hatte immer so was im Blick“, erzählt er. So verschlug es ihn damals zur Ausbildung nach Halle-Neustadt – eine tolle Zeit, wie er sich erinnert. Auch der anschließende Außendienst als Monteur bei Privatkunden und Firmen sei voll sein Ding gewesen. „Ich muss draußen sein, bin gern unterwegs und unter Leuten.“

Irgendwann in den 1990er Jahren änderten sich die Rahmenbedingungen. Die Telekom hatte die marode Infrastruktur saniert und im Osten der Republik ein nagelneues Netz installiert. „Das war weitgehend störungsfrei und wartungsarm.“ Eine Begleiterscheinung, die bei ihm zum Bruch geführt habe, erinnert sich der Elektroniker. Der passionierte Außendienstler landete im Innendienst, musste im Service-Bereich agieren und in Call-Centern arbeiten.

„Seitdem habe ich intensiv über einen Wechsel und Alternativen nachgedacht.“ Eben dorthin, womit er als Jugendlicher auch schon geliebäugelt hatte: Krankenhaus, Rettungsdienst, irgendwas mit Tuchfühlung zu Menschen.

Der Plan B startete 2002 zunächst im Privaten. Uwe George, der seit Kindertagen von Bergen und der Kletterei fasziniert ist, fand über den Alpenverein in Wernigerode den Weg zur Bergwacht-Gruppe in Thale. Eine Passion, mit der er auch seine Söhne Simon, Jakob und Arwed infizierte.

Die Frage nach der Zahl seiner Kinder beantwortet der Bergretter bis heute mit einem Standardsatz: „Ich bin Vater von drei Söhnen.“ Obwohl – oder gerade weil – er im Jahr 2011 einen schweren Schicksalsschlag verkraften musste. Der Jüngste im Trio, der damals elf Jahre alte Arwed, wurde beim Spielen Opfer eines sehr tragischen, tödlichen Unglücks.

Wäre die Familie von diesem Schicksalsschlag verschont geblieben, wären die Georges heute wahrscheinlich vierköpfig in der Familie der Bergretter aktiv. So aber bekleiden aktuell Uwe George und sein ältester Sohn Simon aktive Posten in der Truppe. Der heute 22-jährige Simon, der nicht minder passioniert am Fels klettert, hat Forstwirtschaft gelernt und vertieft dieses Fachwissen gegenwärtig beim Studium in Erfurt. In seiner Freizeit ist er bei der Bergwacht nun auf Bundesebene unterwegs – „er ist unser Bundesnaturschutzreferent“, berichtet Vater Uwe mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme.

Der tragische Schicksalsschlag war für Uwe George zugleich Anlass, sich selbst noch mal ganz konsequent die Fragen nach dem Sinn des Lebens und dem individuellen Glück zu stellen. „Es sind oft die ganz einfachen Dinge, die entscheidend und wichtig sind“, weiß der 46-Jährige nur zu gut. Inwieweit das tragische Unglück sein Leben und die persönliche Kurskorrektur beeinflusst hat? Langfristig gesehen wahrscheinlich ganz erheblich. „Es ist gut möglich, dass sonst alles in meinem Leben unverändert geblieben wäre.“

So aber kam einiges anders. Die Suche nach der beruflichen Perspektive mündete 2016 in eine konkrete Entscheidung. Letzter ausschlaggebender Punkt – wahrscheinlich das berühmte Tröpfchen für das randvolle Fass – war der bevorstehende berufliche Umzug in eine Telekom-Niederlassung in Magdeburg. „Weil ich endlich wieder was machen wollte, was mir richtig Spaß macht, fiel mir der berufliche Neustart da nicht schwer.“

Ein Wechsel, den er bislang nicht bereut habe. In den vergangenen Tagen hat Uwe George ein Praktikum in der Notaufnahme des Harzklinikums in Quedlinburg absolviert. Über die Weihnachtstage ist der Hobbysportler im Rettungsdienst im Einsatz – Heiligabend ruft beispielsweise eine Nachtschicht auf dem RTW.

Und sonst – in der Freizeit? Da dominierten Kletterspaß, die Bergwacht und der Sport. Die Palette reicht von Radfahren über alpinen und Langlauf-Skisport bis hin zu Läufen. Wobei das Motto klar ist: „Ich mache alles, aber nichts professionell.“ Weil der Faktor Spaß wichtig sei.

Auch ganz privat hat Uwe George mit einer neuen Partnerin sein Glück gefunden. Wohin die Reise mal gehen wird, bleibt abzuwarten. „Mein Traum? Irgendwann nach der Ausbildung wieder richtig sesshaft werden, gern auch wieder mit einem kleinen Häuschen.“ Vielleicht im Harz, vielleicht in Thüringen. Hauptsache, Berge sind in Sichtweite.