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Diesterweg-Schule Viele Kinder, aber keine Schule?

Über die Diesterweg-Schule entscheidet der Stadtrat. Erstmals könnte in Halberstadt eine Schule mit genug Schülern geschlossen werden.

Von Jörg Endries 27.04.2016, 13:03

Halberstadt l Weichen stellt der Stadtrat in seiner Sitzung am morgigen Donnerstag. Im Fokus stehen zwei Beschlüsse, die unmittelbar Einfluss auf die Stadtentwicklung in Halberstadt haben. Die Abgeordneten entscheiden, ob die Kreisstadt an den bisherigen sechs Grundschulstandorten festhält oder eine Schule geschlossen wird.

Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke) setzt auf sechs Bildungseinrichtungen und die millionenschwere Sanierung der Diesterweg-Grundschule. In den bisherigen Ausschusssitzungen zeichnet sich hingegen eine Mehrheit für fünf Standorte ab. Auch wenn im Beschluss keine Schule explizit genannt ist, wird bereits offen über die Schließung der Diesterweg-Grundschule in der Sargstedter Siedlung gesprochen.

Umstritten ist, ob es sich die Stadt leisten kann, eine Schule in einem wachsenden Stadtteil mit über 3000 Bewohnern und einem hohen Anteil an Familien mit Kindern zu schließen. Zumal vor dem Hintergrund, dass mit dem Segen des Stadtrates junge Familien in die Sargstedter Siedlung gelockt wurden, damit sie sich dort und nicht woanders ihren Traum vom Einfamilienhaus erfüllen. Zum idyllisch gemalten Bild versprach die Verwaltung zudem vor Ort eine intakte Infrastruktur – im Mittelpunkt die Diesterweg-Grundschule und die Kindertagesstätte Bummi.

Nachgeholfen hat die Kommune mit Blick auf die Stadtentwicklung mit einer finanziellen Förderung des Eigenheimbaus in der Siedlung. Dafür wurden in einem anderen Eigenheimbaugebiet Halberstadts, dem Sonntagsfeld zu Füßen der Spiegelsberge, Grundstücke sehr teuer verkauft. Die daraus resultierenden Erlöse sind in die Erschließung des Baugebietes „Westlich der Sargstedter Siedlung“ geflossen. Daran hat der Linke-Fraktionschef im Stadtrat, Hans-Joachim Nehrkorn, während der jüngsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses erinnert.

Die Rechnung ging für die Stadt auf. Die heißbegehrten Baugrundstücke sind wie warme Semmeln verkauft worden. „Viele Stadträte können oder wollen sich daran nicht mehr erinnern“, kritisiert Dieter Krone, Vorsitzender des Fördervereins Diesterwegschule und Sargstedter Siedlung.

Unstrittig ist, dass die Sanierung der maroden Diesterweg-Grundschule viel Geld kostet. Nach der jüngsten Schätzung, die von einer Teilsanierung und einem Teilneubau ausgeht, etwa 6,5 Millionen Euro. Dass die Rechnung so teuer ausfällt, haben sich Teile der Stadtverwaltung und des Stadtrates selbst zuzuschreiben – nicht die Siedler, die seit über zehn Jahren auf den Missstand aufmerksam machen. Versprechungen, das unter Denkmalschutz stehende Gebäude zu sanieren, sind bis heute keine Taten gefolgt. Das Resultat: Bausubstanz, die „kaputtdebattiert“ wurde.

Dabei stimmt das demografische Umfeld in der Sargstedter Siedlung. Es besteht kein Mangel an Kindern, das klassische Kriterium für die Schließung einer Schule. Derzeit besuchen 100 Mädchen und Jungen die Diesterweg-Grundschule. 120 waren es noch 2015. Der Rückgang ist direkte Folge der Debatte um die Zukunft der Schule. Einige Eltern sind so verunsichert, dass sie ihre Kinder mittlerweile in andere Einrichtungen schicken, bestätigt Dieter Krone.

Der hohe Anteil an jungen Familien im Einzugsgebiet sichert der Diesterweg-Grundschule laut Schulentwicklungsplanung eine gesunde Basis. Für das Schuljahr 2016/2017 werden 123 Schüler prognostiziert, ein Jahr später 125 und 2018/2019 sogar 135. Laut Demografiecheck der Stadtverwaltung bewegt sich die Schülerzahl im Jahrzehnt von 2020 bis 2030 zwischen 113 und 122 Schülern. Die vom Land geforderte Mindestzahl von 60 Schülern ist nie gefährdet.

Andreas Karger, Chef der Abteilung Kindertagesstätten, Schulen, Sportstätten der Stadtverwaltung, beschäftigt sich bereits mit der Verteilung der Diesterweg-Schüler auf die verbleibenden fünf Standorte. Das sei nach Kargers Worten überhaupt kein Problem. Stadträte warnen, dass dies nicht zum Nulltarif zu haben ist. Eine Schätzung eines Bauingenieurs aus der Linke-Fraktion geht von 1,6 Millionen Euro aus. Die CDU-Fraktion von weniger als einer Million Euro.

Auf Volksstimme-Anfrage informiert die Verwaltung, die Investitionen für die Aufnahme der Kinder in anderen Einrichtungen (Goethe-Grundschule, die Horte in den Tagestätten Kinderland, Ententeich und Bummi) würden bei 1,9 Millionen Euro liegen. Weitere Kosten würden auf die Stadt für die Schülerbeförderung zukommen.

Dass es genug Kinder in der Siedlung gibt, dafür steht die Kindertagesstätte Bummi. Sie platzt seit Jahren aus allen Nähten, die Hortkinder sind bereits aus Platzgründen in der Diesterwegschule untergebracht. Die Einrichtung ist mit 90 Mädchen und Jungen (davon 43 Vorschulkinder) derzeit ausgelastet. Auch die Kita ist stark sanierungsbedürftig. Allein sie schlägt in der Kostenschätzung (1,9 Millionen Euro) laut Verwaltung mit 1,1 Millionen Euro zu Buche. Wobei die Bummi-Sanierung bei der Schließung der Diesterwegschule laut Andreas Karger nicht infrage stehen würde.

Was passiert eigentlich mit dem Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 2012, mit dem sich der Stadtrat mehrheitlich bereits für die Sanierung der Diesterweg-Grundschule bekannt hat? „Bei einem Beschluss gegen den Erhalt von sechs Schulstandorten würde dieser Beschluss automatisch aufgehoben werden“, heißt es auf Volksstimme-Anfrage aus dem Rathaus.