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Fluchtbericht Syrerin: "Ich weinte vor Angst ..."

Saraa Snoubar führte ein normales Leben mit Mann und drei Kindern in Syrien. Bis zum Krieg. In Halberstadt erzählt sie von der Flucht.

20.09.2016, 23:01

Sie führte ein normales Leben mit Mann und drei Kindern in Syrien. Bis der Krieg ausbrach. Saraa Snoubar berichtet in Halberstadt von ihrer Flucht.

Halberstadt l „44, das ist eine hohe Resonanz.“ Carsten Nitsch, Leiter der Zast-Außenstelle in der Halberstädter Rabahne ist erfreut über das Interesse.

Es geht um die Flucht von Saraa Snoubar (30) aus Syrien, einer Englischlehrerin, die bei der AOK als Call-Center-Agentin arbeitet und mit ihrer Familie derzeit in Oschersleben lebt. Nicht nur Bewohner der Kreisstadt sind erschienen, auch Geflüchtete aus anderen Unterkünften sind im Saal.

Zur Einstimmung auf den Vortrag wird ein Video abgespielt, das die Kriegsschäden in Syrien zeigt. Saraa ist dabei so ergriffen, dass sie weinend den Saal verlassen muss.

Stefanie Glaschge, Koordinatorin des Sozialbereichs vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Wanzleben als Träger der Außenstelle und Moderatorin der Veranstaltung, erklärt den Anwesenden, dass es eben ein echtes Schicksal ist, um das es hier geht. Krieg könne jeden treffen, sagt sie.

Als Saraa Snoubar wieder den Raum betritt, klatscht das Publikum. Stefanie Glaschge lobt sie für ihren Mut. Dann wird es wieder ganz still und mit sehr gefasster Stimme beginnt Saraa Snoubar in perfektem Deutsch zu berichten. Im Moment befinden sich im Haus Menschen mit 13 unterschiedlichen Nationalitäten, die sechs Hauptsprachen sprechen.

Die Moderatorin unterbricht und fragt, welche Übersetzungen heute benötigt werden. Daher ist die Veranstaltung viersprachig. Saraa Snoubar spricht Englisch, gedolmetscht wird auf Französisch, Arabisch und Deutsch.

Sie sagt: „Ich habe ein ganz normales Leben geführt. Wie ihr. Jeden Tag habe ich einen Song gehört, gefrühstückt und bin dann zur Arbeit gegangen. Ich war Englischlehrerin in Damaskus.“ Ihr Mann, Mohamad Kabtoul (30), war selbstständig, das Paar hatte wenig finanzielle Sorgen.

Sie haben eine kleine Tochter, damals ein und heute fünf Jahre alt. Im Jahr 2012 bekamen sie 2012 Zwillinge. Da erreichte der Krieg in Syrien auch Damaskus.

Als ihr Haus von Bomben zerstört wurde und im zweiten Unterschlupf ihr Nachbar starb, entschieden sie sich, Syrien zu verlassen. Der Weg führte jedoch nicht direkt nach Europa, sondern erst einmal nach Ägypten.

Sie hatten vor, ihr komplettes Hab und Gut ins Auto zu laden, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Mohamad Kabtoul betrieb einen Laden für Computer-Hardware in der Heimat, und wollte diesen wiedereröffnen. Dies scheiterte jedoch. Sie wurden überfallen und ihr Leben bedroht, verloren allen Besitz, einschließlich ihrer Papiere und Dokumente.

Es war nicht möglich, nach Syrien zurückzukehren, aber auch das Leben in Ägypten gestaltete sich schwierig. Saraas Ehemann konnte keine Arbeit finden. Sie selbst hatte einen minimalen Verdienst als Lehrerin an einer syrischen Schule.

Nach eineinhalb Jahren unter finanziell unsicheren Lebensumständen entschloss sich das Paar daher endgültig, nach Europa aufzubrechen.

Als sie mitten in der Nacht in Alexandria ein Boot besteigen wollten, das sie nach Italien bringen sollte, wurden sie festgenommen. Saraa Snoubar: „Es war, wie man es in Filmen kennt. Wir irrten durch die Straßen, plötzlich war überall Polizei. Wir stoben auseinander, wurden aufgegriffen.“ Die gesamte Familie landete hinter Gittern.

„Der Grund, warum wir ins Gefängnis kamen war, weil wir leben wollten“, sagt Saraa Snoubar. Und wiederholt: „Es ist das Normalste von der Welt, leben zu wollen. Aber da es keinen legalen Weg gibt, nach Europa einzureisen, war es ein Verbrechen.“

Sie benötigten 1000 Euro, um sich freizukaufen. Die Summe mussten sie sich von Freunden leihen. Die Syrerin: „Uns haben so viele Menschen mit Geld ausgeholfen. Wir zahlen jetzt alles zurück.“

Im Juli 2015 gelang die Flucht im zweiten Anlauf. Saraa Snoubar hatte für einen Job an einer ägyptischen Schule einen minimalen Verdienst erhalten. Die Prämie an die Schlepper wurde umso höher, je größer die Familie war. In ihrem Fall mit drei Kindern betrugen die Kosten 6000 Dollar.

In vier Kähnen ging es Richtung Europa. Zunächst mussten sie aber etwa 100 Meter durch das Wasser gehen. Es war ein kleines Fischerboot, das für etwa 40 Personen ausgelegt war, doppelt so viele waren an Bord. Saraa Snoubar: „Ich weinte die ganze Zeit, aus Angst um mich und meine Kinder.“

50 Flaschen Wasser sollten für 500 Menschen reichen. Schon nach drei Tagen waren sie alle. Es kam zu Rangeleien. Auf der Überfahrt brachte eine Frau ein Baby zu Welt. Es wurde „Die See“ getauft. „Wie man so etwas schafft? Wir Frauen sind tough“, sagt Saraa Snoubar.

Insgesamt waren sie sieben Tage unterwegs. Sie entgingen der Registrierung in Italien, wurden nach Deutschland durchgewinkt. Erste Station hier war München. Von dort wurde die Familie nach Halberstadt geschickt. Dann nach Oschersleben. Mittlerweile hat sie einen Aufenthaltstitel. Ihr Mann lernt Deutsch an der Volkshochschule, um bald einen Job zu bekommen.

Saraa Snoubar: „Ich mag Oschersleben, ich habe Kontakt zu den Menschen. Ich mag die Stadt.“