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Gerichtsdirektor Schwarzes Schaf findet seine Weide

„Amtsgericht Halberstadt, Büttner.“ Die Tage, an denen sich der Gerichtsdirektor so meldet, sind gezählt. Ende Juli geht er in Pension.

Von Dennis Lotzmann 18.07.2016, 14:04

Halberstadt l Ein Amtsgerichtsdirektor im Zeugenstand? Was ungewöhnlich klingt, ist kürzlich wahr geworden. Frithjof Büttner, seines Zeichens Direktor im altehrwürdigen Halberstädter Justizpalast, musste im Zeugenstand des Amtsgerichts Wernigerode von Amts wegen Rede und Antwort stehen.

Der Anlass für jene Vorladung war ein rein dienstlicher. Als vor gut einem Jahr in Elbingerode ein mutmaßlicher Brandstifter festgenommen worden war, war Büttner Bereitschaftsrichter. Weil der Angeklagte nun vor Gericht sein Geständnis widerrief, war Büttners Aussage gefragt, um die Umstände der damaligen Vernehmung zu erhellen.

Jene Vorladung ist eine von zig Episoden in der mittlerweile 34 Jahre zählenden Justizkarriere von Frithjof Büttner. Eine freilich, an die sich der 64-Jährige noch länger erinnern wird. Schließlich könnte sich jene Vorladung sogar wiederholen: Der junge Elbingeröder ist jüngst in erster Instanz wegen Brandstiftung verurteilt worden, hat aber die nächste Instanz angerufen. Gut möglich, dass Büttner dann erneut in den Zeugenstand muss.

Für den scheidenden Gerichtsdirektor ein Fall von zig Tausenden, die ihn in den vergangenen gut drei Jahrzehnten tangiert haben. Wie viele Verfahren und Urteile mögen es seit 1982, Büttners Eintritt in den niedersächsischen Justizapparat, wohl gewesen sein? Der 64-Jährige vermag es nicht zu sagen. „Sicher aber ist: Von spektakulär über brutal bis hin zu tragisch war alles dabei.“

An einen Fall aus der Schublade mit der Aufschrift „Spektakulär“ erinnert sich Büttner auch noch nach Jahrzehnten: In den 1980er Jahren verknackte er in seiner Heimatstadt den bereits pensionierten Stadtdirektor wegen Urkundenunterdrückung. Dass sein Urteil – es war wohl eine Geldstrafe – trotz Revison und Berufung Bestand hatte, erwähnt er nicht ohne eine gewisse Genugtuung. Sind abgewiesene Rechtsmittel für Richter doch die bestmögliche Bestätigung für absolut korrekte Arbeitsweise.

Dabei war Frithjof Büttners Weg in die Justiz keineswegs vorgezeichnet. „Ich entstamme einer absoluten Lehrerdynastie und bin quasi das schwarze Schaf“, plaudert er mit verschmitztem Grinsen aus dem Nähkästchen. Ein schwarzes Schaf aber, das seinen Weg gegangen und seine Weide gefunden hat.

Von 1972 bis 1977 studierte er in Göttingen Jura, dann folgten die Referendarzeiten. „Dazwischen war ich noch sechs Monate in San Francisco unterwegs“, erinnert er sich. Etwas ausgeblichene Fotos von den damaligen Abenteuern, die im Arbeitszimmer des Gerichtsdirektors hängen, lassen erahnen, dass das Fernweh bis heute nicht erloschen ist.

Um nicht sofort von Schulbank und Uni-Hörsaal in die Entscheider-Position im Gerichtssaal zu wechseln, ließ der junge Büttner anderthalb Jahre in einer Anwaltspraxis folgen. Dann, 1982, war es soweit: Im Justizdienst des Landes Niedersachsen lockte eine offene Stelle und Büttner schlug zu. Er arbeitete in Helmstedt, Clausthal-Zellerfeld, rund um Braunschweig und schließlich im Amtsgericht Wolfenbüttel.

Dass er dort von 1985 bis 1991 über sechs lange Jahre immer wieder nur dasselbe gemacht hat, war ein gewichtiger Grund, dass danach alles etwas anders kommen sollte: „Nach der Wende haben uns Richter aus Halberstadt besucht. Und da erwachte bei mir wieder ein bisschen die Abenteuerlust.“

Also sagte der damals 40-Jährige ja zur befristeten Abordnung nach Halberstadt. „Das fing eigentlich ganz harmlos an. Und dann hat es mir so gefallen, dass ich immer wieder verlängert habe und schließlich geblieben bin.“

Aus gutem Grund. Während der westdeutsche Justizapparat ziemlich festgefahren war, gab es im Osten Auf- und Umbrüche. Es sei aber weniger die Karrierechance gewesen – die im Osten natürlich größer war –, sondern die Aussicht auf mehr Abwechslung im Joballtag. „Dafür habe ich die täglich 110 Kilometer auf mich genommen.“

Was – rückblickend betrachtet – eine gute Entscheidung war. Dominierten in Wolfenbüttel allein die Strafverfahren für Erwachsene, machte Büttner im Halberstadt gut zehn Jahre lang vor allem Familiensachen. „Das war ein bissel wie die Ausbildung zum Facharzt für Allgemein-Juristerei.“ Zugleich rückte Büttner als Kandidat für das Spitzenamt im Halberstädter Justizpalast in den Fokus. Am Landgericht Magdeburg wurde er schließlich dafür fit gemacht – „das war mein drittes Staatsexamen“.

Seit 2001 bekleidet er den Posten, offiziell berufen wurde er 2002. Wenn er nun nach 15 Jahren in der Funktion und fast 25 in Halberstadt geht, dürften einige „Patienten“ aufatmen. Büttner hat vielen Angeklagten eine Ansage gemacht. Er steht aber auch im Ruf, nicht zu überziehen und Sündern Chancen zu geben. Werden sie nicht genutzt oder Bewährungsauflagen missachtet, kann er jedoch ungemütlich werden. Dass musste ein verurteilter Täter erleben, der es mit seinen Schmerzensgeldzahlungen an ein Opfer eher lax nahm. Als er davon erfuhr, schaltete sich Büttner ein und sorgte dafür, dass gezahlt wurde. Weil er es eben nicht mag, wenn seine Urteile missachtet werden.

Und was kommt nun, nach 34 Jahren mit Akten und Paragraphen? Büttner weiß es noch nicht so genau. Das Heim, da dürfte immer mal was zu tun sein. Dann ist da die Mutter, die mit 87 mehr Zuwendung benötigt. Und dann lockt die Aussicht, Weihnachten erstmals Opa zu werden. Gut möglich, dass damit indirekt eine zweite sportliche Initialzündung verbunden ist. Früher habe ich ja viel Sport gemacht“, überlegt der 64-Jährige. Und dann sind da die Wege, die Büttner vor Jahrzehnten in Amerika beschritten hat. Nochmal nach San Francisco – ja, das würde schon reizen.

Zuvor aber heißt es packen und das Büro in Halberstadt räumen. Daran führt altersbedingt kein Weg vorbei. „Die schmeißen mich jetzt raus“, sagt Büttner und lässt den Satz klingen, wie er gemeint ist: Irgendwie auch traurig.