Gesellschaft Spieler aus Leidenschaft

Engagiert im Cage-Projekt und Kirchenkreis, ist Hans Jörg Bauer nicht nur vielen Halberstädtern bekannt. Am Montag wird er 75 Jahre alt.

Von Sabine Scholz 05.12.2016, 00:01

Halberstadt l Man kennt ihn, nicht nur in Kirchen- und Musikkreisen. Auch an der Käse- und Fleischtheke seines Lieblingssupermarktes wird Hans Jörg Bauer mit Namen begrüßt. „Ich hab einen Höllenrespekt vor der Arbeit der Verkäuferinnen“, sagt Bauer, der liebend gern einkauft und kocht. „Vielleicht“, sagt er, „liegt es am fortgeschrittenen Alter. Da wächst die Wertschätzung für die flüchtigen Genüsse“. Dass man ihn an der Theke kennt, wird mit Sicherheit auch an der Offenheit liegen, mit der Bauer anderen Menschen begegnet. Wobei seine Vorliebe für den etwas schwärzeren Humor ihm ab und zu irritierte Blicke einbringt.

Damit kann Bauer umgehen, auch wenn er nachdenklich davon berichtet, dass diese Art des Humors manchmal ungewollt verletzend ist. „Das tut mir immer sehr leid, aber wenn es ausgesprochen ist, ist es zu spät.“ Ändern aber soll er sich nicht, da seien sich seine vier Kinder einig. „Die kennen mich eben“, sagt er und fügt mal kein lateinisches Zitat an. Eine Vorliebe, die ihm ab und an den Vorwurf der Eitelkeit einbringt – ebenso wie seine profunde Kulturkenntnis, mit der er nicht hinterm Berg halten kann. Wenn es um Musik geht, kennt der studierte Musikwissenschaftler sich eben aus. Er musiziert gern selbst – aber nur, wenn ihm keiner zuhört –, lauscht Konzerten und liest dabei, wenn er sie denn zuhause hört, in der Partitur mit. Die Musik begleitet ihn seit Kindertagen. Er sei mit Bach, Brahms und Schumann sozialisiert worden, erzählt er. Und stellt fest, dass er im Alter wieder konservativer wird, was die Musik betrifft. Wie er dann mit Cage klarkommt? Gut, sagt er, denn Cage ist sehr viel mehr als Musik. Und ihn begeistert, wenn junge Menschen mit Leidenschaft selbst musizieren, für ihre Musik leben. Solchen musikalischen Nachwuchs erlebt er nicht nur bei dem alle zwei Jahre stattfindenden Wettbewerb um den John-Cage-Preis.

Redet man mit Hans Jörg Bauer über John Cage und das in Halberstadt beheimatete Projekt der längsten Musikaufführung der Welt, ist man rasch bei Themen wie Ewigkeit und Glauben. Und bei magischen Orten.

Die Burchardikirche und der Saal im Herrenhaus des Burchardi­klosters sind Orte, die in Bauer Glücksmomente wecken. Dabei war es eine Katastrophe für die komplett ehrenamtlich tätigen Cage-Freunde in Halberstadt, die sie die Schönheit dieses Saales entdecken ließ. 2010 gab es über Weihnachten einen Wasserschaden im Herrenhaus, im Dachgeschoss war eine Leitung geborsten, das Wasser rann tagelang das Mauerwerk hinab ins Erdgeschoss. Der Fußboden im Saal quoll auf. Als man ans Reparieren ging, wurde die schöne alte Dielung freigelegt. Dass es gelang, Geld einzuwerben, um Saal und Ausstellungsräume zu sanieren, ist etwas, das von Bauers Wirken bleiben wird. Und auf das er stolz ist.

Dass er einmal in Halberstadt sein würde, hätte der im Breisgau aufgewachsene Bauer nie vermutet. Er studierte Musikwissenschaften, wechselte nach Jahren im Musikantiquariat in die Verwaltungslaufbahn und kam in den 1990er Jahren als Aufbauleiter der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach Halberstadt. Nach drei Jahren Pendelei zwischen Nürnberg und Halberstadt zog er um, mit Frau und jüngster Tochter. Für ihn brachte Halberstadt viele neue Erfahrungen. So wurde er vom Vater am Spielfeldrand selbst zum Fußballer, entdeckte die Leidenschaft fürs Kochen. Dass es seiner Frau sehr viel schwerer fiel, Familie und Freunde in Süddeutschland zurückzulassen, sei ihm erst viel später bewusst geworden. Ein Fakt, den er nachträglich sehr bedauert. Denn seine Frau, das ist immer wieder zu spüren, bedeutet ihm viel. „Wir haben einen großen Gleichklang, nicht nur was die Liebe zur Musik anbelangt. In Sachen Belletristik allerdings kann ich ihr nicht das Wasser reichen.“

Der Mann, der Mathematik und Physik liebt, spielt nicht nur Fußball, sondern mit Freude auch Karten. Wie seine Frau. Drei Skatrunden und zwei Doppelkopfrunden werden gepflegt. Nur Bridge wird in Halberstadt kaum gespielt, bedauert er. Und schwupps, ist ein lateinisches Zitat parat: im Spiel zeigt sich unser wahrer Charakter. Da darf man Hintertriebenheit, List und Tücke ausleben, die Freude am Siegen, ohne anderen zu schaden. „Als Ausgleich ist das wunderbar“, sagt Bauer und schmunzelt. „Aber nur, wenn man mit Menschen spielt, die das Spiel ernst nehmen.“ Spielen sei etwas Tolles, aber es dürfe natürlich das Leben nicht dominieren. Da droht Hans Jörg Bauer wohl keine Gefahr, dazu ist er viel zu beschäftigt.