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Heimatgeschichte Osterwiecker Handschuhe erobern die Welt

Der Tag des offenen Denkmals in Osterwieck zeigt Interessantes über die früher bedeutende Handschuhindustrie.

Von Mario Heinicke 15.09.2015, 01:01

Osterwieck l Ulrich Katzorke war in seinem Element. Der ehrenamtliche Stadtführer hat früher selbst als Handschuhmacher gearbeitet. Die Gäste seines Rundgangs führte er durch das Heimatmuseum und zu bedeutenden Häusern, in denen einst Leder und Handschuhe hergestellt wurden.

War das Gleitlagerwerk zu DDR-Zeiten mit seinen 850 Leuten schon ein Riesenbetrieb, so stellte noch früher die Handschuhbranche alles in den Schatten. In den 1920er Jahren arbeiteten in diesem Handwerk rund 2000 Menschen, einschließlich Heimarbeiterinnen, berichtete Katzorke aus alten Quellen.

Dabei fing alles klein an. Um 1850 begann die Herstellung von Handschuhen. Die ersten Handschuhmacher hießen Behrens, Lüders und Beyerlein. Wobei Christian Behrens, 1826 geboren, als der Vater der Handschuhindustrie in Osterwieck gilt. Er widmete sich der Glacélederherstellung, ein von den Hugenotten eingeführtes Gewerbe. Der Stadtführer schilderte, dass er während seiner Lehrzeit noch etwa 250 französische Fachausdrücke lernen musste.

Behrens wurde mit 24 Jahren Meister in diesem neuen Zweig der Handschuhmacherzunft. Zu einem Zeitpunkt, als die Osterwiecker nur große Fausthandschuhe kannten. Er begann in der Neukirchenstraße 33 zunächst noch ganz allein. Später hatte er seine Fabrik in der Gartenstraße.

„Das Jahr 1869 galt als Beginn der Handschuhindustrie“, berichtete Ulrich Katzorke. Gerbereien und Glacélederfärbereien wurden eingegliedert. Die Osterwiecker Handschuhfabrikation wuchs zu einer der bedeutendsten in Deutschland heran, deren Geschäftsverkehr sich bis nach Übersee erstreckte. Unternehmen gingen ein, neue entstanden. 1905 waren 15 Handschuhfabriken eingetragen. Ob im Hagen, der Kapellenstraße, dem Teichdamm oder der heutigen Thälmannstraße, quasi überall wurden Leder und Handschuhe hergestellt. Sogar im „Bunten Hof“ – und am Denkmalplatz. Hier befand sich bis zur Wende die letzte große Produktionsstätte, die 1990 noch 135 Beschäftigte hatte, dann aber geschlossen wurde. Den Zweiten Weltkrieg hatten nur drei Firmen überstanden. 1967 existierten zwei Betriebe – die Franz Werner KG und Adolf Seeger KG, die zusammen über 120 000 Lederhandschuhe im Jahr produzierten. Bei Werner entstanden zudem Trachtenhosen und später Kinderbekleidung.

Ulrich Katzorke zeigte im Heimatmuseum die dort ausgestellten Bearbeitungswerkzeuge und Lederstücke, berichtete wie Glacéleder zum Beispiel mit Hilfe vom Vogeleiern, die in Massen extra aus Afrika importiert wurden, gegerbt wurde.

Bekannt wurde Osterwieck aber auch durch sein Ledergeld, als Notgeld in den 1920er Jahren gedruckt bei August Wilhelm Zickfeldt und u. a. mit Geburtshäusern der Osterwiecker Lederindustrie darauf abgebildet, wie dem Voigteiplatz 7 oder dem Hagen 45. Die Entwürfe für das Ledergeld stammten von Hermann Rabel. Heute können Besucher Kopien des auf weißem Glacéleder gedruckten Geldes als touristisches Andenken erwerben.