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Hochwasser 50 Stunden Kampf gegen das Wasser

Nach dem Hochwasser war im Bereich der Stadt Osterwieck bereits am Donnerstag Zeit zum Aufräumen, Ausruhen und für ein erstes Fazit.

Von Mario Heinicke 28.07.2017, 01:01

Stadt Osterwieck l „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte Stadtwehrleiter Frank Kenzig angesichts der extremen Schäden in Orten außerhalb des Osterwiecker Stadtgebietes. Hinter ihm lag eine weitere Einsatz-Nacht, jetzt mit Schwerpunkt in Hoppenstedt, wo die Feuerwehren gegen die Überflutung des alten Mühlengrundstücks kämpften. In Berßel war da das Gröbste schon überstanden. Hier stellten die Einsatzkräfte am Mittwoch gegen 22 Uhr ihre Arbeit ein. Der Pegel war gefallen.

„Das Problem war der lange Hochwasserscheitel“, sagte Kenzig. Dienstag um 5 Uhr begann der Einsatz der Feuerwehren in Berßel und zog sich bis Donnerstag, 7 Uhr, in Hoppenstedt hin. 50 Stunden Kampf gegen das Ilsewasser also.

Der Pegelstand in Hoppenstedt erreichte zwar nicht ganz den Rekordwert von 2002. Die Wassermenge sei aber größer als damals gewesen, habe Kenzig von einem Experten erfahren.

1994 und 2002 gab es die letzten großen Fluten, die seinerzeit auch als „Jahrhunderthochwasser“ bezeichnet wurden. Nicht nur an der Ilse, auch an der Oker. Dass diese über die Landesstraße gelaufen und auf Wülperode und Göddeckenrode zugeströmt ist, hatte Manfred Riecher, derzeit Rathauschef in Osterwieck, damals nicht erlebt. Aber auch diese beiden Orte seien jetzt glimpflich davongekommen. „So schlimm es für Einzelne vielleicht doch gewesen ist.“

Kenzig und Riecher schätzten ein, dass die in den vergangenen Jahren durch das Land gebauten Hochwasserschutzanlagen entlang der Ilse ihren Nutzen bewiesen hätten. Kenzig ist am Mittwochnachmittag mit einem leitenden Mitarbeiter des Landesbetriebes für Hochwasserschutz von Ort zu Ort gefahren, hatte ihm die sprichwörtlichen Knackpunkte gezeigt. Für den Landesbetrieb dürfte es wichtig gewesen sein zu erfahren, ob und wie sich die errechneten Bauwerksdimensionen in der Praxis bewähren.

Kenzig und Riecher sind sich einig, dass vor den Hochwasserschützern weitere große Aufgaben stehen werden. Was die Unterhaltung der Ilse sowie den immer noch ausstehenden Bau zweier Schutzanlagen betrifft. Erst dann wäre auch die Berßeler Brockenblick-Siedlung sicherer. Das Wasser strömte am Donnerstag hinter Wasserleben über den Deich und dann kilometerlang durch Mais- und Weizenfelder auf Berßel zu. „Wir können froh sein, dass dort dieses Jahr keine Rüben wachsen“, meinte Kenzig. Dann hätte es eine Schlammflut gegeben.

Manfred Riecher ist es als amtierender Bürgermeister gestern ein Bedürfnis gewesen, allen Einsatzkräften zu danken. Teils waren sie sogar aus ihrem Urlaub gekommen, selbstständige Handwerker oder Landwirte haben ihre gewerbliche Arbeit ruhen lassen.

15 der 18 Osterwiecker Ortsfeuerwehren waren in den Hochwassergebieten.

Kräfte von außerhalb wurden nicht angefordert. „Die hätten wir auch nicht bekommen. Wir haben uns von vornherein auf uns verlassen“, berichtete der Stadtwehrleiter. Die Organisation mit einer koordinierenden Führungsstelle im Rathaus habe sich bewährt.

„Die Einsatzbereitschaft war sehr hoch“, unterstrich Frank Kenzig und bezog das auch auf die helfenden Einwohner in Berßel und Hoppenstedt, die Sandsäcke füllen und verlegen halfen. Wertvolle Dienste leisteten ortsansässige Firmen wie Landhandel, Landboden, Claas oder Beton und Tiefbau, die unkompliziert und schnell Technik bzw. Material stellten. Oder Helfer wie der Rentner Karl-Heinz Bormann in Hoppenstedt, der mit seinem Multicar die gefüllten Sandsäcke zur Mühle transportierte.

„Diese Einsatzbereitschaft der Leute können wir gar nicht hoch genug würdigen“, betonte Manfred Riecher.

Weniger schön und behilflich waren für die Einsatzkräfte die „Hochwassertouristen“, die vor allem in Berßel zu schaffen machten. Die wichtige Wasserlebener Straße zwischen Gerätehaus, wo die Sandsäcke gefüllt wurden, und Ilse-Brücke, wo die Sandsäcke benötigt wurden, war teils vollgeparkt. Autofahrer hätten Einsatzfahrzeuge behindert und einige sich auch noch uneinsichtig gezeigt. Daraufhin wurde diese Hauptstraße ganz abgesperrt und nur noch der Linienbus durchgelassen.

Beobachtet wurde derweil vor allem von den Stötterlingenern, wie sich das Hochwasser auf den für den Kiesabbau vorgesehenen Ackerflächen verhält. Auf bereits abgeernteten Feldern wurde deutlich, dass sich das Wasser bis ins Kiesabbaugebiet ausgebreitet hat. Auf seinem Weg in Richtung Bühne schoss es förmlich über einen Feldweg.

Im Landesbergamt ist man bisher der Auffassung, dass der Hochwasserschutz kein Versagungsgrund für den Kiesabbau sei. Der entgegengesetzte Standpunkt der Einheimischen hat sich mit dieser Flut nochmals gefestigt.